Die Waadtländer Lokalzeitung «24 heures» und eben «Le Temps», das sind die Zeitungen, die die Leute in Lausanne lesen. Sicherlich wird der eine oder die andere auch einmal das Westschweizer Boulevardblatt «Le Matin» zur Hand nehmen, doch es gehört zum guten Ton in der Romandie, neben einer Lokalzeitung auch «Le Temps» zu lesen.
Es sei ein anderes Niveau, meint eine Frau. «Le Temps» behandle die Themen tiefgründiger als die anderen.
Und so bezeichnet sich «Le Temps» selbst unter dem bordeauxroten Titel nicht ganz unbescheiden auch als «Media Suisse de Référence». Zu Recht, sagt Peter Rothenbühler, Kolumnist und stellvertretender publizistischer Leiter der Westschweizer Zeitungen von Tamedia.
Seelenlose Zeitung?
«Le Temps» ist die einzige Qualitätszeitung in der Westschweiz, die überregional berichtet und auch in der Deutschschweiz wahrgenommen wird. Die Redaktionen befinden sich an den Bahnhöfen von Genf, Lausanne und Neuenburg – eine lokale Verankerung hat «Le Temps» nicht. Das sei eine Stärke, findet Peter Rothenbühler.
Für Christian Campiche ist dies eine Schwäche. Er ist Leiter des Medienmagazins «Edito» in der Westschweiz. Es sei eine seelenlose Zeitung, die nur für die Finanz- und Wirtschaftselite schreibe. Die Rubriken Sport und Religion wurden gestrichen, der Kulturteil stark reduziert. Zudem sind die Artikel relativ lang. Das mache die Zeitung schwer zugänglich und komplizierter, bestätigt eine Leserin.
Schwarze Zahlen trotz kleiner Auflage
Für «Le Temps» müsse man sich eben mehr Zeit nehmen. Und das tun viele nicht. Der Zeitungsverkäufer in der Lausanner Altstadt verkauft beispielsweise weniger «Le Temps» als «24 Heures».
Heute habe er ein Dutzend «24 heures» verkauft, und nur drei «Le Temps». Die Auflage von «Le Temps» ist auch kleiner. Obwohl sie in der ganzen Westschweiz gelesen wird, druckt Le Temps knapp 40'000 Exemplare, die Lokalzeitung «24 heures» etwa 70'000. Doch trotz der kleinen Auflage schreibe das Blatt schwarze Zahlen, beteuert der Tamedia-Mann Peter Rotenbühler.Verifizieren lässt sich das nicht.
Gradlinigere Führung
Nun soll das Qualitätsblatt also verkauft werden. Eine Nachricht, die nicht nur nur negativ bewertet werden muss, denn ein einziger Mehrheitsaktionär könnte die Zeitung gradliniger führen.
Andererseits gibt es in der Romandie auch Stimmen, die sagen, dass der Verkauf die Leser auf eine Einstellung von «Le Temps» vorbereiten soll. Die Westschweiz würde damit ihre einzige überregionale Qualitätszeitung verlieren. Doch noch ist nicht aller Tage Abend. Interessenten für eine Übernahme gibt es, sowie die Möglichkeit, dass Tamedia «Le Temps» ganz übernimmt. Da hätte aber noch die Wettbewerbskommission ein Wörtchen mitzureden. Denn dem Tamedia-Konzern gehören jetzt schon fast alle grossen Westschweizer Tageszeitungen.