Schweizer Senioren entscheiden sich vermehrt für ein Alters- und Pflegeheim im Ausland. Nicht nur Thailand bietet solche Plätze an – auch osteuropäische Staaten wie Ungarn, die Slowakei, Tschechien und Polen werben um deutschsprachige, pflegebedürftige Senioren.
Obwohl diese im Gegensatz zur Schweiz für alle Kosten alleine aufkommen müssen, sparen die Senioren im Ausland für eine aufwändige Rundum-Betreuung Geld. Deshalb werden in den osteuropäischen Staaten meist in Grenznähe und unweit von Ferienregionen Pflegeheime eröffnet, in denen das gesamte Personal Deutsch spricht und wo deutschsprachige TV-Sender empfangen werden können.
Der Soziologe und Altersforscher François Höpflinger ist der Meinung, dass das Verbringen des Lebensabends fernab von der Heimat durch die fortschreitende Technik immer einfacher wird.
SRF News: Herr Höpflinger, Schweizer Senioren entscheiden sich dazu, ihren Lebensabend hunderte von Kilometern entfernt von ihrer Heimat zu verbringen. Was bringt sie dazu?
Zum einen sicher finanzielle Vorteile. Und beim Wechsel vom ehemaligen Wohnsitz in ein Alters- und Pflegeheim geben sie ihren altbekannten Ort ja ohnehin auf – ob man jetzt 10 oder 100 Kilometer davon entfernt ist, spielt für die Senioren objektiv gesehen keine Rolle. Häufig wagen diesen Schritt Leute, die internationale Kontakte oder einen Migrationshintergrund haben, zum Beispiel ehemalige Ungarnflüchtlinge.
Das heisst, ein Alters- und Pflegeheim im Ausland ist nur für eine spezifische Gruppe von Schweizer Senioren?
Ich würde sagen, diese Lösung ist eher für gutbetuchte Senioren interessant. Sie erwarten im Pflegebereich gewisse Standards, wie beispielsweise eine erweiterte Betreuung oder ein umfassendes Freizeitprogramm. Obwohl sie im Ausland für sämtliche Pflege- und Unterbringungskosten aufkommen müssen, bezahlen sie dennoch weniger als in Schweizer Heimen, wenn sie hier einen vergleichbaren Standard haben wollen.
Zudem sind es wie angesprochen eher diejenigen Senioren, welche bereits einen Bezug zum Ausland haben – beispielsweise während ihrer Berufszeit schon oft herumgereist sind. Es gibt sicherlich viele ältere Menschen, die sehr sesshaft sind und für die ein Wegzug nur schon aus ihrer Region nicht infrage käme. Solche würden einen Pflegeplatz im Ausland niemals freiwillig anstreben.
Es ist sensationell, wie man heute im Ausland das Leben noch immer in der eigenen Kultur verbringen kann – das wäre vor 15 Jahren noch undenkbar gewesen.
Aber auch für die Reiseerprobten: Man ist ja plötzlich entwurzelt, hat keinen direkten Kontakt mehr mit Angehörigen und der vertrauten Kultur. Fühlen sich die weggezogenen Senioren da nicht alleingelassen?
Heute ist es ja auch im Ausland problemlos möglich, Schweizer Fernsehen zu schauen oder seine Angehörigen per Video-Chat virtuell zu treffen. Es ist sensationell, wie man heute innerhalb einer fremden Kultur das Leben noch immer in der eigenen Kultur verbringen kann – das wäre vor 15 Jahren noch undenkbar gewesen. Zudem hat die Mobilität zugenommen, man kann heutzutage relativ einfach zwischen Ungarn und der Schweiz pendeln. Der Wechsel ins Ausland kann für Senioren auch anregend sein, indem sie sich in fortgeschrittenem Alter noch einmal neuen Herausforderungen stellen. Für sie sind die neuen Eindrücke stimulierend.
Gleichzeitig kann sich ein Pflegeplatz im Ausland je nach Situation aber auch kontraproduktiv auf das Befinden von Pflegebedürftigen auswirken. Leuten mit Depressionssyndromen würde ich den Wechsel nicht empfehlen. Eine Demenz kann durch die Entwurzelung zudem beschleunigt werden.
Werden in Zukunft Schweizer vermehrt ihren Lebensabend im Ausland verbringen?
Die Zahl von Pflegebedürftigen, die reisen, nimmt klar zu. Nicht nur für längerfristige Lösung – vermehrt tauchen auch Angebote von Wellness-Ferien auf, es gibt mittlerweile pflegeorientierte Kreuzfahrten. Es gibt auch Fälle von Senioren mit rheumatischen Erkrankungen, welche die Wintermonate in südlichen Ländern verbringen, um dann im Sommer wieder in die Schweiz zu kommen.
Einem Problem können sich aber auch die osteuropäischen Staaten nicht verschliessen: Auch dort wird es in Zukunft immer mehr Pflegebedürftige und damit zu wenig Pflegepersonal geben.
Das Gespräch führte Simon Hutmacher.