Obwohl die Bevölkerung wächst, hat eine Zahl in den letzten zehn Jahren stetig abgenommen: die der neuen IV-Rentner. Von 2003 bis 2013 hat sie sich gar halbiert: von damals 27‘700 Neurenten pro Jahr auf 13‘600 (siehe Box). Zugenommen hat dagegen die Anzahl Eingliederungsmassnahmen der Invalidenversicherung (IV). Jene Massnahmen also, die den Menschen helfen sollen, wieder Fuss zu fassen auf dem Arbeitsmarkt.
Was aber mit jenen Personen passiert, deren Rentenansprüche durch die IV abgelehnt wurden, weiss der Bund auch heute nicht genau: Wenn die kantonalen Stellen ein IV-Verfahren abgeschlossen haben, verschwindet die Person aus der betreffenden Statistik.
«Keine massive Verschiebung zur Sozialhilfe»
Um dies zu ändern, liess der Bund untersuchen, was mit Personen geschieht, deren IV-Gesuch abgelehnt wurde. Das Resultat für 2008: Von jenen, die einen negativen Entscheid erhielten, bezogen zwei Jahre später 17 Prozent Sozialhilfe. Das ist knapp jeder Sechste. Für 2010 wurde die Studie erneut durchgeführt. Das Resultat war dasselbe: 17 Prozent jener, die einen negativen IV-Entscheid erhielten, bezogen zwei Jahre später Sozialhilfe. Das zeigt der jüngste Bericht vom Mai 2015.
Mit nur zwei Erhebungen ist noch keine Aussage für langfristige Trends möglich. Dieser Meinung ist auch Harald Sohns, Mediensprecher des Bundesamts für Sozialversicherungen (BSV). Dennoch zeigt er sich über das Resultat erfreut. «Die Analysen zeigen, dass die strengere Regelung bei den Neurenten nicht zu einer massiven Verschiebung von IV-Versicherten zur Sozialhilfe geführt hat.»
Thomas Gächter, Professor für Sozialversicherungsrecht an der Uni Zürich, warnt allerdings davor, die Zahl von 17 Prozent falsch zu interpretieren. Sie bedeute nicht, dass die anderen 83 Prozent nicht gesundheitlich beeinträchtigt seien. «Denn Sozialhilfe erhält nur, wenn ein sozialhilfrechtlicher Bedarf ausgewiesen ist.» Das sei – aus verschiedenen Gründen – wohl nicht bei allen Personen der Fall, deren IV-Gesuch abgelehnt wurde.
Keine Sozialhilfe für Hausbesitzer
So geht Gächter davon aus, dass zwei Jahre nach dem negativen Entscheid bei einem bedeutenden Teil der Personen noch Vermögenswerte wie eine Wohnung vorhanden seien. Das aber schliesst den Anspruch auf Sozialhilfe aus. Andere wiederum würden wohl von ihrem Ehepartner finanziell unterstützt.
Möglich sei natürlich auch, dass die betreffenden Personen eine Arbeit gefunden hätten – nur gibt es dazu keine Zahlen. Das bemängelt auch Ueli Kieser, Professor für Sozialversicherungsrecht der Uni St. Gallen. Statt zu untersuchen, wie viel Prozent der Personen mit negativem IV-Entscheid Sozialhilfe beziehen, wären die Autoren besser der Frage nachgegangen, wie viel Prozent eine Arbeit gefunden hätten, sagt er. «Denn es ist ohnehin nicht klar, ob zwischen der Ablehnung der IV und dem Bezug von Sozialhilfe ein Zusammenhang besteht.»