- Der Nationalrat ist als Erstrat auf die Reform der obligatorischen beruflichen Vorsorge (BVG) eingetreten.
- Der im Sommer 2019 von Arbeitgebern und -nehmern gefundene Kompromiss dürfte aber in der Detailberatung einen schweren Stand haben.
- Es wird eine regelrechte Monsterdebatte erwartet. Im Nationalrat sind bis Mittwoch 15 Stunden für die Beratung vorgesehen.
Kernstücke der Vorlage sind die Senkung des Umwandlungssatzes von 6.8 auf 6 Prozent sowie die Anpassung der Bestimmungen an die Arbeitsformen der Gegenwart, insbesondere die vermehrte Teilzeitarbeit, Menschen mit Mehrfachjobs und Tiefverdiener.
Einig ist man sich, dass der Umwandlungssatz sinken muss. Der Knackpunkt liegt bei den Übergangsgenerationen. Zur Diskussion stehen drei Modelle. Eines davon ist die im Sommer 2019 ausgehandelte Kompromisslösung der Sozialpartner. Diese fand in der zuständigen Kommission jedoch keine Mehrheit.
Das Eintreten auf die Reform war zwar unbestritten, gab aber viel zu reden. Es zeigte sich im Hinblick auf die Detailberatung ein klarer politischer Graben zwischen links und rechts.
«Giesskanne» gegen «massgeschneidert»
Die SP und die Grünen stellten sich deutlich hinter den Kompromissvorschlag der Sozialpartner – SVP, Mitte, FDP und GLP geht dieser indes zu weit. Sie möchten eine massgeschneiderte Übergangslösung für die von der Senkung des Umwandlungssatzes betroffenen Jahrgänge.
Ruth Humbel (Mitte/AG) warnte, keine «Mini-AHV» in die BVG-Reform einzubauen. Wenn man mit der Giesskanne alle bediene, dann bremse das die systemfremde Umverteilung von den Arbeitenden zu den Rentnern nicht. Laut Melanie Mettler (GLP/BE) sind dies derzeit je nach Berechnung 4.5 bis 9 Milliarden Franken pro Jahr.
Im Vorschlag der Kommissionsmehrheit sah Pierre-Yves Maillard (SP/VD) nicht weniger als eine Verachtung der Bürgerlichen für die Realität der Rentnerinnen und Rentner.
Mehrheitsvariante für Grüne «Pfusch»
Für die Grünen ist die Mehrheitsvariante der Kommission ein «Pfusch», wie sich Katharina Prelicz-Huber (Grüne/ZH) ausdrückte. Die Hälfte der Neurentnerinnen und -rentner müsse mit insgesamt 3500 Franken AHV und BVG auskommen.
Der sozialpartnerschaftliche Kompromiss würde komplett aufgeschnürt und brächte keinen Mehrwert mehr. Dieser Kompromiss sei für die Grünen aber das Minimum: «Eher ergreifen wir das Referendum, als zu weniger Ja zu sagen, als zum sozialpartnerschaftlichen Kompromiss.»
Der Kompromiss führe eine allgemeine Rentenerhöhung für alle ein, wandte sich Regine Sauter (FDP/ZH) dagegen. Albert Rösti (SVP/BE) äusserte sein Unverständnis, dass man bereits in der ersten Lesung der Vorlage den Absturz der Reform verkünde. Das sei nicht sehr verantwortungsvoll.
Denn: Die zur Debatte stehenden Modelle lägen gar nicht so weit auseinander. Der SVP gehe es darum, die drei Säulen der Vorsorge nicht zu vermischen.«Weiter unterstützen wir kein Giesskannensystem», machte der die Position seiner Fraktion klar.
Wie sollen Übergangsjahrgänge kompensiert werden?
Seit die Stimmbevölkerung vor vier Jahren die gemeinsame Reform von AHV und zweiter Säule an der Urne versenkt hat, laufen die zähen Stabilisierungsversuche für die beiden Vorsorgewerke AHV und BVG wieder auf getrennten Geleisen.
Die unbestrittene Senkung des Mindestumwandlungssatzes bei der beruflichen Vorsorge führt zu einer Rentenkürzung von 12 Prozent. Im Gegenzug soll es gemäss Sozialkompromiss für alle Neurentnerinnen und -rentner einen Rentenzuschlag geben. Das würde rund 1.7 Milliarden Franken kosten.