Kurz vor 08:30 Uhr patrouillieren vor dem Amtshaus in Bern schwer ausgerüstete Polizisten, hier und dort hat es Absperrgitter. Doch es bleibt ruhig.
Drinnen beginnen die Verhandlungen: Acht Mitglieder der beiden verfeindeten Motorradgruppen Hells Angels und Bandidos stehen ab jetzt vor dem Obergericht. Sie alle sind 2022 vom Regionalgericht Bern-Mittelland verurteilt worden, die meisten zu bedingten Freiheitsstrafen.
Rückblick: Im Mai 2019 kommt es in Belp BE zu einem blutigen Streit. Anhänger der Bandidos wollen dort ihr erstes Clublokal in der Schweiz eröffnen. Die Hells Angels, welche hierzulande die Szene dominieren, bekommen Wind davon und fahren hin. Mit Messern, Schlagringen und Schusswaffen gehen die beiden Motorradgruppen aufeinander los. Fünf Personen werden verletzt, zwei davon schwer.
2022 kommt es am Regionalgericht Bern-Mittelland zum Prozess mit 22 Angeklagten. Während die Verhandlungen laufen, gehen vor dem Amtshaus gegen 200 Männer – Hells Angels und Bandidos – aufeinander los.
Die Kantonspolizei Bern schafft es nur dank eines Grossaufgebots, die verfeindeten Motorradclubs zu trennen. Die Urteilsverkündung hingegen läuft friedlich ab. Der Hauptangeklagte, ein Bandido, wird wegen versuchter vorsätzlicher Tötung und Raufhandels zu acht Jahren Gefängnis verurteilt. Weitere Rocker erhalten bedingte Freiheitsstrafen.
Acht Männer – zwei Hells Angels und sechs Bandidos – legten gegen die Schuldsprüche des Regionalgerichts Berufung ein. Darum ist der Fall nun vor dem Obergericht.
Erinnerungslücken und Schweigen
Als Erstes kommt ein Bandido zu Wort. Er war der Hauptangeklagte im Prozess am Regionalgericht. Weil er seine Berufung zurückgezogen hat, tritt er im aktuellen Prozess als Zeuge auf. Doch auf die meisten Fragen antwortet er mit: «Ich kann mich nicht erinnern.»
Dann geht es weiter mit den Bandidos, die Berufung eingelegt haben. Der erste Beschuldigte, in Hemd und Jackett, gibt sich wortkarg. Er hat Berufung eingelegt, weil er die Höhe seiner Strafe – acht Monate Gefängnis unbedingt – nicht angemessen findet. Während der Befragung antwortet er oft mit: «Ich kann nichts dazu sagen.» Neues kommt nicht zu Tage.
Der zweite Beschuldigte – erstinstanzlich zu einer mehrmonatigen bedingten Freiheitsstrafe verurteilt – plädiert auf Unschuld und will sich an nichts mehr erinnern: «Bevor ich etwas Falsches sage, sage ich lieber nichts.» Auf die Frage der Richterin, weshalb er an besagtem Abend im Mai 2019 ein Messer dabei gehabt habe, sagte er: «Weil wir grilliert haben.»
Einige Beschuldigte bleiben dem Prozess fern
Der dritte Beschuldigte, ein älterer Mann mit grauem Bart, plädiert ebenfalls auf Unschuld. Auch seine Antworten sind einsilbig. Er erinnere sich nur noch, dass er während der Auseinandersetzung auf der Toilette gewesen sei. Auf den Vorwurf der Oberrichterin, dass er vor dem Haus gesehen worden sei, will er nichts sagen.
Die Befragung des nächsten Bandidos entfällt, weil er nicht auftaucht. Die Richterin beschliesst, dass der Rückzug des Verfahrens in seinem Fall als beschlossen gilt und das Urteil der Vorinstanz rechtskräftig wird.
Zwei weitere Mitglieder der Bandidos können wegen Krankheit nicht befragt werden. Am Dienstag steht die Befragung der beiden Mitglieder der Hells Angels an. Das Obergericht wird das Urteil am 13. Februar eröffnen.