Der 7. Februar ist für das Dorf Andermatt im Urner Urserental ein besonderer Tag. Denn Andermatt erlebte vor 50 Jahren das, was Schangnau im Emmental gerade jetzt erlebt. Seit dem 7. Februar 1972 hat Andermatt etwas, was viele andere Dörfer nicht haben: einen Olympiasieger. Skirennfahrer Bernhard Russi hatte in Sapporo in der Abfahrt die Goldmedaille geholt.
Damals sass sein alter Schulfreund Hans Regli mit seiner Frau vor dem Fernseher. Um halb drei Uhr morgens warteten sie darauf, dass Russi aus dem Starthäuschen schoss – Richtung Ziel. Und voilà - nachdem auch Russis Schweizer Konkurrent Roland Collombin als Zweiter im Ziel angekommen war, stand fest: Andermatt hat mit Bernhard Russi einen Olympiasieger. Im Dorf im Urserental ging die Post ab.
Alles war auf den Beinen, erinnert sich Hans Regli: «Wir haben den ganzen Tag und die folgende Nacht durchgefeiert. Die Katzenmusik, unsere Fasnachtsmusik, war unterwegs. Lastwagen, mit Musikanten darauf, sind bis ins Unterland gefahren und hupend durch die Dörfer gezogen.»
Mit Russi ist Andermatt plötzlich in aller Munde
Hans Regli, der ehemalige Urschner Talammann und Gemeindepräsident von Andermatt, ist heute Präsident des Stiftungsrates des Talmuseums Urserental. In diesem kleinen Museum läuft zurzeit eine Sonderausstellung über Bernhard Russi. Seine Rossignol-Skis von damals kann man hier bewundern oder seinen legendären orangen Skianzug. Aber auch die Goldmedaille von Sapporo.
Hans Regli steht mit Ehrfurcht und Stolz vor diesem Ausstellungsstück: «Der Skisport hatte damals einen riesigen Stellenwert, und die Abfahrt war die Königsdisziplin. Wenn diese dann ein Andermatter gewinnt, ist das schon ein Highlight.» Dank Russis Erfolgen sei das Dorf Andermatt, welches in den 1970er-Jahren weit weg war von einer Tourismusdestination wie heute, viel bekannter geworden.
Bis heute spürt man, wie stolz die Menschen in Andermatt auf «ihren» Bernhard sind. Jeder ist mit ihm per Du und die Freude ist gross, dass Russi auch heute noch im Dorf lebt und anzutreffen ist. Er sei bis heute nicht abgehoben, sind sich die Leute einig. Diejenigen, die den 7. Februar 1972 erlebt haben, kommen sofort ins Schwärmen, wenn man sie auf Russi anspricht.
Sie erinnern sich, wo sie waren, als Russi in Sapporo den Berg runterfuhr. Fredi Muheim, Metzger in Andermatt, war zum Beispiel im Militär: «Wir Urner bekamen Urlaub, als Russi gewann.» Und überhaupt war Russis Sieg nachhaltig: Seinetwegen war es den Kindern plötzlich erlaubt, während dem Mittagessen Skirennen zu gucken.
Auch die jüngere Generation im Dorf kennt den berühmtesten Andermatter. Er sei eine Legende, das schon, sagt ein junger Mann, aber: «Wenn du meine Mutter und Grossmutter fragst, dann ist das was anderes, als wenn du mich fragst. Ich habe es nicht miterlebt. Für seinen sportlichen Erfolg kenne ich ihn eigentlich nicht. Ich kenne ihn mehr aus dem Fernsehen, als Moderator oder aus der Sportschau. Und dass er heute bei vielen Sachen mitmischt.»
Zum Beispiel bei der Skiarena Andermatt-Sedrun, also dem Zusammenschluss der Skigebiete in Andermatt, Sedrun und Oberalp. Russi war selbstverständlich auch bei der Eröffnung der neuen Gondelban «Gütsch-Express» dabei. Und seit zwei Jahren betreibt er auf dem Gipfel, in der alten Wetterstation, eine Pistenbeiz.
Bernhard Russi ist sicher wichtig für die ganze Skiarena Andermatt-Sedrun. Der Erfolg der Skidestination sei aber nicht nur auf Bernhard Russi zurückzuführen, heisst es im Dorf. Trotzdem: Geschadet habe es nicht, einen Olympiasieger im Dorf zu haben. Darin sind sich die Andermatterinnen und Andermatter einig.