Maria* wollte für ein paar Monate Geld verdienen, als sie sich via Internet als Prostituierte in einer Kontaktbar im Kanton Thurgau bewarb. Doch auf die Arbeitsbedingungen war die damals 18-jährige Ungarin nicht vorbereitet.
«Uns wurden die Pässe weggenommen. Der Lohn wurde uns willkürlich berechnet, manchmal auch gar nicht ausbezahlt», erzählt die junge Frau. «Wir mussten täglich sehr viel Champagner trinken. Damit wir trotzdem arbeiten konnten, verkaufte uns ein Kollege des Geschäftsführers Kokain.»
«Dirnenlohn» kann nicht eingeklagt werden
Für das Essen, das Zimmer, das Kokain habe es Abzüge gegeben. Oder auch für «Verspätungen» – wenn sie mit einem Freier fünf Minuten zu lange auf dem Zimmer gewesen sei. Monatlich seien ihr oft nicht mehr als 350 Franken übrig geblieben.
Der Berner Polizei-Inspektor Alexander Ott stört sich daran, dass der «Dirnenlohn» laut Gesetz als «unmoralisch» gilt und deshalb nicht eingeklagt werden kann. Der Kanton Bern will schweizweit legale Arbeitsverträge für Sexarbeiterinnen und hat deshalb eine Standesinitiative eingereicht.
«Der Kanton Bern ist der Ansicht, dass man in diesem Bereich nun einen Schritt weitergehen muss – und dass diese Sittenwidrigkeit in der heutigen Gesellschaft nicht mehr zweckmässig ist», so Ott. «Man verspricht sich dort vor allem einen grösseren Schutz der Frauen oder auch der Männer, die dort arbeiten, aber zugleich auch eine Stärkung ihrer Rechte», erklärt er die Standesinitiative.
Milieu mehrheitlich gegen Verträge
Das Sexgewerbe reagiert mehrheitlich ablehnend auf den Vorschlag, schweizweit Arbeitsverträge für Prostituierte einzuführen. Maja Häberli, Geschäftsführerin einer Kontaktbar, meint, «ihre» Prostituierten würden lieber vertragsfrei arbeiten.
«Das kann meiner Meinung nach nicht funktionieren», sagt die Betreiberin. «Diese Frauen kommen aus anderen Ländern, die sind sich ein anderes Arbeiten gewöhnt als wir.» Diese Mentalität, morgens um neun und abends um fünf die Stempeluhr zu betätigen, das gäbe es nicht. Die Frauen hätten «gerne eine Selbständigkeit, wo sie sagen könnten: Morgen hätte ich gerne frei. Und das muss funktionieren.»
Juristin Brigitte Hürlimann, eine der profiliertesten Expertinnen zum Thema Prostitution, sieht das völlig anders. Sie ist überzeugt, dass Arbeitsverträge viele Vorteile für Prostituierte bringen würden: «Präsenzzeit ist ein Thema. Heute werden die Frauen eigentlich nicht bezahlt, wenn sie im Bordell präsent sind. Das könnte man ändern: Indem es eine Art Grundlohn gäbe.»
Ein Viertel für die Dirne, drei Viertel für den Boss
Auch das Thema Sicherheit spricht Hürlimann an: «Bezahlte Ferien, Beiträge des Arbeitgebers. Das sind Annehmlichkeiten, die man im Arbeitsvertrag erkämpft hat – davon sollen auch Prostituierte profitieren.»
Im Sexgewerbe hat heute jeder Kanton eigene Regeln. In Zürich gilt jede Sexarbeiterin in einem Lokal prinzipiell als selbständig erwerbend – im Thurgau dagegen als unselbständig erwerbend; jeder Bordellbetreiber muss einen Standardvertrag für «Masseusen» ausfüllen. Was der Betreiber darin festlegt, ist ihm selber überlassen.
Manche Verträge sehen so aus: Die Prostituierte bekommt 25 Prozent des Liebeslohns, der Kontaktbarbetreiber aber 75 Prozent. Die Thurgauer Behörden sagen auf Anfrage, wenn die Frau das unterschreibe, sei sie selber schuld. Das ist zynisch – denn viele Frauen verstehen kein Deutsch.
Kontrollen statt Kriminalität
Wenn ein Arbeitsvertrag einen Wert haben soll, dann brauche es Kontrollen, so Hürlimann. «Es wäre sogar sehr wünschenswert, dass man Kontaktbars oder andere Etablissements der Prostitution vermehrt in die Hand des Arbeitsinspektors gibt.» Die Arbeitsbedingungen müssten wirklich unter die Lupe genommen – und damit die Arbeit aus der Kriminalität geholt werden, so die Juristin. «Damit wäre allen geholfen.»
Faire Arbeitsverträge wären ein wichtiger Schritt hin zu einer Normalisierung des Gewerbes. Doch um Menschenhandel zu bekämpfen, müssten die Kantone die Arbeitsbedingungen von Sexarbeiterinnen konsequent kontrollieren.
*(Name geändert)