Ein Bundesrat, der eine grosse Rentenreform durchbringt, darf sich den Orden der Geschichte anheften, heute mehr denn je. Denn bei der AHV (und bei der Pensionskasse) handelt es sich um Milliardenkassen, fast jede Veränderung bewegt sofort hunderte von Millionen Franken pro Jahr. Entsprechend umstritten sind die Reformen.
Die AHV ist zudem fast ein Heiligtum der Sozialdemokraten (SP) und Gewerkschaften; ihnen ist das «Jahrhundertwerk» massgeblich zu verdanken. Gegen einen Abbau wehrt sich die Linke immer wieder und oft erfolgreich, denn auch in der Bevölkerung findet eine gut ausgebaute AHV grossen Zuspruch.
Aber wegen der immer breiteren Alterspyramide – immer weniger Arbeitende müssen immer mehr Rentner finanzieren (siehe Bildergalerie) – gerät die AHV je länger desto mehr in eine finanzielle Schieflage. Der sogenannte Generationenvertrag zwischen Jung und Alt wird immer stärker strapaziert. Zudem leben wir immer länger, beziehen also länger Rente.
Auch linke Politiker wie SP-Bundesrat Alain Berset sind heute überzeugt, dass die AHV dringend Reformen braucht. Sonst werde die AHV ab dem Jahr 2030 acht Milliarden Franken minus schreiben. Bei der PK ist es bereits heute so, dass die Rentner mehr beziehen als sie einbezahlt haben, was systemwidrig ist. Deshalb verhandelt der Nationalrat im September über die grosse Altersvorsorge-Reform 2020, die der Bundesrat vorgelegt hat.
Das sind die wichtigsten Vorschläge des Bundesrates:
- Anstatt nur die AHV (1. Säule), will der Bundesrat in einem grossen Paket auch gleich die Pensionskassen (PK, 2. Säule) sanieren. Mit dieser Strategie hat man mehr Möglichkeiten, die Lasten gerecht zu verteilen – und der Bundesrat hofft, so linke wie bürgerliche Politiker ins Boot zu holen.
- Das Frauenrentenalter wird von 64 auf 65 angehoben (wie zu Beginn der AHV 1947).
- Gleichzeitige Individualisierung des Rentenalters (im Alter zwischen 62 und 70) für Mann und Frau – mit der Hoffnung, das mehr Leute länger arbeiten werden.
- Bei Rente vor 65 sollen die Bezüge von Leuten mit tiefen Einkommen weniger stark gekürzt werden (soziale Abfederung).
- Wiederum soll die Mehrwertsteuert (heute acht Prozent) erhöht werden, um die AHV zusätzlich zu finanzieren.
- Der Umwandlungssatz der PK – er bestimmt, wieviel vom angesparten Vermögen man als Rente monatlich erhält – wird auf sechs Prozent reduziert. Das wäre eine unmittelbare Rentenkürzung, allerdings nicht bei der AHV, sondern bei der PK.
- Die PK-Beiträge sollen leicht erhöht werden (um Punkt 6 abzufedern). Gleichzeitig müssen die Pensionskassen mehr des am Kapitalmarkt verdienten Geldes an die Rentner ausbezahlen: 92 Prozent statt nur 90 Prozent.
Die Pläne des Bundesrates hat der Ständerat bereits vor einem Jahr behandelt. Erstes Ziel der kleinen Kammer war, die Renten nicht zu kürzen. Also muss mehr Geld her.
Das Geld holt man sich bei jenen, die noch im Arbeitsprozess stehen, also bei den Jungen. Tatsächlich will der Ständerat die Reformpläne des Bundesrates so lenken, dass Arbeitnehmer zwischen 20 und 30 Jahren am stärksten zusätzlich belastet werden, Rentner hingegen fast gar nicht.
Die wesentlichen Änderungsvorschläge des Ständerates:
- Neu – das ist der umstrittenste Punkt – will der Ständerat die AHV-Renten pauschal um 70 Franken (Einzelperson, Ehepaare bis 226 Franken) erhöhen. Eine Konzession an die Linke. Vor allem die CVP drängte auf dieses «Zückerchen». Damit ginge ein Teil des gesparten Geldes wieder verloren.
- An die PK sollen neu auch die 21- bis 24-Jährigen einen Beitrag leisten (Lohnabzug). Der Abzug der 35- bis 54-Jährigen soll erhöht werden.
- Vom Lohn sollen allen zusätzlich 0.3 Prozent für die AHV abgezogen werden (heute: 4.2 Prozent).
- Die Mehrwertsteuer will der Ständerat nicht so stark erhöhen wie der Bundesrat.
Jetzt geht die Altersvorsorge-Reform 2020 in den Nationalrat; die zuständige Kommission hat heute vorgelegt, welche Änderungen an den Reformplänen der Nationalrat behandeln soll. Ziel der Politik bleibt, dass das Reformpaket ab dem Jahr 2020 wirksam ist.