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Schutz mit Mass Haben die Schweizer Heime aus der ersten Coronawelle gelernt?

Betagte und Pflegebedürftige wurden im Frühjahr noch regelrecht weggesperrt. Das soll sich nicht wiederholen.

An die erste Coronawelle in der Schweiz haben viele Senioren und Angehörige schlechte Erinnerungen: Viele Alters- und Pflegeheime verwandelten sich in regelrechte Hochsicherheitsgefängnisse. Zum Schutz der Bewohnerinnen und Bewohner wurde keinerlei Direktkontakte mit der Umwelt mehr zugelassen.

Bei Pro Senectute Schweiz verfolgt Peter Burri Follath die Situation in verschiedenen Alterszentren. «Das grösste Learning aus der ersten Welle war, dass die Einsamkeit sehr, sehr problematisch war.» Es gebe Phasen, bei denen es ganz wichtig sei, den Kontakt trotz Corona zu ermöglichen. Etwa, wenn es ans Sterben geht.

Und dann hat man auch wichtige Erkenntnisse zu den Ansteckungswegen gewonnen: «Das Virus wurde vor allem von Angestellten eingeschleppt. Vom Personal, von Lieferanten und weniger von Besuchern.»

Einige Einrichtungen lassen aktuell noch viel Kontakte zu, während andere bereits wieder Besuchsverbote verhängen. Eine einheitliches Schutzkonzept für die ganze Schweiz gibt es nicht. Wie sie den Kontakt nach aussen ermöglichen wollen, ist den Heimen selbst überlassen – und hängt nicht zuletzt von den finanziellen und räumlichen Möglichkeiten ab, die zur Verfügung stehen.

Beim privaten Wohn- und Pflegezentrum Tertianum Letzipark in Zürich hat man die Aktivierungsräume so umgestaltet, dass sich das Personal dort umziehen kann. «Alle Mitarbeiter eines Stockwerks kommen von zu Hause mit Maske direkt hierhin und ziehen sich um», erklärt Geschäftsführer Christoph Hamann. «Am Feierabend ziehen sie sich hier wieder um und gehen direkt hinaus.»

Tritt ein Coronafall auf, kann das Tertianum so einfach nur das entsprechende Stockwerk schliessen.

Beim öffentlichen Alters- und Pflegeheim Risi in Wattwil sind die räumlichen Möglichkeiten deutlich weniger grosszügig. Dementsprechend mussten vor drei Wochen ganz andere Massnahmen ergriffen werden: «Wir haben das ganze Zentrum abgeschottet, keine Besuche mehr zugelassen und jedes Haus und betroffene Zimmer für sich isoliert.», erinnert sich Heimleiter Georg Raguth.

So bekam man die Situation schnell in den Griff und konnte das Zentrum mittlerweile wieder öffnen – wenn auch eingeschränkt. Besuch kann nur in der geschlossenen Cafeteria empfangen werden und nur nach Voranmeldung. Die Pflegestation ist in der Regel nach wie vor tabu. «Im vertrauten Umfeld wird man schneller unvorsichtig. Man ist sich schneller nahe, berührt einander häufiger und ist schneller bereit, die Maske abzuziehen als im öffentlichen Raum», erklärt Georg Raguth die Zurückhaltung.

Beide Heime möchten ihren Bewohner so wenig wie möglich einschränken und den gewohnten Betrieb so gut wie möglich aufrechterhalten. Die dafür erforderlichen Ressourcen bereiten aber speziell im kleinen öffentlichen Heim in Wattwil Kopfzerbrechen.

«Unsere grösste Sorge ist sicher der Ausfall von Pflegepersonal», meint Heimleiter Georg Raguth. «Bis jetzt konnten wir alles gut auffangen und haben auch ehemalige Mitarbeitende angefragt, ob sie mithelfen könnten. Aber wenn sich die Lage dramatisch verschlechtert, würde das zu einem echten Problem.»

Gemäss Pro Senectute wäre in vielen Zentren im Allgemeinen mehr Unterstützung nötig: «Man hätte vielleicht auch früher kantonal vorgehen und schauen müssen, wer Ressourcen benötigt», meint Peter Burri Follath. «Man hätte entsprechen appellieren und schauen können, dass da Mittel gesprochen werden.»

Puls, 02.11.2020, 21:05 Uhr

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