Auch wenn die Temperaturen der letzten Tage mancherorts schon eher an Frühling als an Winter denken liessen: Der Schnee ist in den Bergen immer noch da und mit ihm auch die Tourengänger. Ebenso mit dabei: die Lawinengefahr.
Wo also kann man bei den aktuellen Lawinenverhältnissen gefahrlos hochsteigen? Und welche Hänge sicher herunterfahren? Um diese Fragen zu beantworten, sind Kenntnisse der Lawinenkunde unabdingbar. Der Lawinenexperte Werner Munter setzte mit zwei Methoden (siehe Kasten) einen Meilenstein in der Beurteilung der Lawinengefahr für Tourengänger.
Die zwei Methoden erlauben Tourengängern einen einfachen Risiko-Check für Lawinen und sind heutzutage bei einer seriösen Tourenplanung nicht mehr wegzudenken.
Nun hat der IT-Experte und Skitourenfan Günter Schmudlach die Tourenplanung mit seiner Plattform skitourenguru.ch noch einen Schritt weiter vorangetrieben. Basierend auf der stark generalisierten und regional gültigen Gefahrenstufe des Instituts für Schnee- und Lawinenforschung (SLF) versucht skitourenguru.ch, einzelnen Routen und Streckenabschnitten einen Risikowert zuzuweisen. Dazu werden die vorhandenen Grundlagen – Lawinenbulletin des SLF, digitale Höhenmodelle und RM – miteinander kombiniert.
Das Programm berechnet so zweimal täglich das aktuelle Lawinenrisiko für jeden Streckenabschnitt einer geplanten Route. Die auf der Skitourenkarte automatisch eingezeichnete Linie erscheint entweder grün (geringes Risiko), orange (erhöhtes Risiko) und rot (hohes Risiko).
Schmudlachs Anliegen ist es, die Tourenfahrer möglichst auf grüne Touren hinzuweisen. Denn: «Viele Tourenfahrer sind an den falschen Orten unterwegs» – sprich auf gefährlichen Routen. Auch wenn bei den meisten Begehungen alles gut gehe, heisse das nicht, dass keine Gefahr bestanden habe, sagt Schmudlach. «Sie hatten vielleicht einfach Glück. Das kann dem Aufbau von falscher Erfahrung förderlich sein.»
Und er will mit seiner Plattform noch etwas anderes: Viele Leute wüssten nicht, wohin sie auf eine Skitour gehen sollen. skitourenguru.ch helfe bei den Entscheidungen, indem es eine Selektion von geeigneten Touren vornehme. Über 600 Touren sind bisher auf der Webseite aufgelistet.
Das Vergnügen, ein Risiko selber einzuschätzen, lasse ich mir von einem Computer nicht nehmen.
Und was halten die Lawinenexperten von dem neuen Tool? Lawinenforscher Werner Munter ist begeistert: «Es wird vielen der ‹Generation Selfie› das Leben retten», ist er überzeugt. Trotzdem käme es für ihn selber nicht in Frage: «Das Vergnügen, ein Risiko selber einzuschätzen, lasse ich mir von einem Computer nicht nehmen.»
Ohne Schaufel und LVS auf Tour
Munter ist bekannt dafür, mit «genau null Sicherheitsausrüstung» auf Tour zu gehen – also auch ohne Lawinenverschüttetensuchgerät (LVS), Schaufel und «ganz sicher ohne Helm». Denn so würde er sich im Kriegszustand mit der Natur befinden. Dafür, dass er mit minimaler Ausrüstung auf Tour geht, hat er eine plausible Erklärung: Wer seine Methode anwende, minimiere das Risiko, in eine Lawine zu kommen auf 1:100'000. «Wem das nicht sicher genug ist, darf auch nicht in ein Auto steigen», sagt Munter und fügt sogleich noch an: «Ich bin in dieser Beziehung aber sicher kein Vorbild und wünsche mir auch keine Nachahmer.»
Den grössten Stolperstein des Tools sieht er darin, dass die Leute keine Ahnung vom Kartenlesen hätten und somit auch nicht wüssten, wo im Gelände sie sich befinden würden. Und ergo, ob sie sich auf dem grünen, orangen oder roten Abschnitt der Linie befinden.
Tool ersetzt Beurteilung vor Ort nicht
Auch beim SLF sieht man sowohl Potenzial als auch Gefahren des Programms. Lawinenwarner Lukas Dürr sagt, die Plattform biete gerade bei der Tourenwahl viele Chancen. Der Mausklick erspare einem in der Phase der Tourenauswahl das Wälzen von Tourenführern und das Studieren von Kartenmaterial. Allerdings warnt er davor, das Tool als einzige Grundlage zur Beurteilung der Lawinengefahr heranzuziehen.
Das Programm wird der Komplexität der Lawinen nicht gerecht.
Es werde der Komplexität des Themas Lawinen nicht gerecht und bilde nur einen Teil davon ab, ist Dürr überzeugt. So besteht für ihn die Gefahr vor allem darin, dass «die Leute den schönen farbigen Linien hinterherlaufen und das Gefühl haben, solange sie der grünen folgen, seien sie sicher.»
skitourenguru ist für die Tourenplanung zu Hause gedacht, nicht als Beurteilung vor Ort oder im Einzelhang.
Schmudlach betont, grün bedeute zwar ein geringes Risiko, aber nicht, dass die Tour sicher sei. Die Plattform würde die seriöse Tourenplanung anhand der 3x3- Formel nicht ersetzen. skitourenguru erleichtere somit lediglich dem Skitourenfahrer die Planung zu Hause, ersetze aber nicht die Beurteilung vor Ort oder im Einzelhang.
Wichtigster Grundsatz: Umkehren können
Auch wenn immer neue Anstrengungen unternommen werden, um die Lawinengefahr noch genauer berechnen zu können: Kein Tool und keine Computerberechnung kann 100 prozentige Sicherheit vor Lawinen versprechen. Sie helfen lediglich, Strategien im Umgang mit Unsicherheit zu entwickeln.
Oder um es mit den Worten Werner Munters zu sagen: «Das wichtigste Sicherheitskonzept auf Skitouren ist, umkehren zu können. Sie können noch hunderte von solchen Programmen entwickeln. Kein einziges ersetzt diesen wichtigen Grundsatz.»