Letzte Woche haben die Schweizer Grenzwächter im Tessin zwei Drittel aller Migrantinnen und Migranten umgehend nach Italien zurückgeschickt. Das dürfen sie dann, wenn ein Migrant nicht um Schutz oder Asyl bittet. Flüchtlingshelfer aber erheben Vorwürfe an das Grenzwachtkorps: Dieses weise auch Migranten ab, die Asyl wollten. In der «SonntagsZeitung» bestätigte der Tessiner Sicherheitsdirektor Norman Gobbi solche Fälle.
Diese Abweisungen seien gerechtfertigt, sagt der Regierungsrat der Lega Ticinesi heute: «Es handelt sich um Leute, die wiederholt versuchen, die Schweizer Grenze zu überqueren, um nach Deutschland oder weiter in den Norden zu kommen. Beim dritten oder vierten Anlauf sagen sie auf einmal, dass sie Asyl beantragen wollen.»
Solche Asylgesuche seien unglaubwürdig, findet Gobbi: Diese Migranten wollten nur durchreisen, das müsse die Schweiz verhindern.
Kompetenzüberschreitung der Grenzwächter?
Constantin Hruschka von der Schweizerischen Flüchtlingshilfe reist am morgigen Dienstag ins Tessin. Er will dort den Berichten über die Abweisungen nachgehen. Der Leiter der Rechtsabteilung sagt: Das Grenzwachtkorps habe keinen Spielraum zu entscheiden, ob ein Asylgesuch glaubwürdig sei.
Für Hruschka ist klar: «Nach dem schweizerischen Asylgesetz ist es folgendermassen: Gibt eine Person in irgendeiner Weise zu erkennen, dass sie Schutz möchte, liegt die Kompetenz beim Staatssekretariat für Migration.» Will heissen: die Grenzwächter dürfen betroffene Migranten nicht abweisen – sie müssen sie den Asylbehörden übergeben.
Aussage gegen Aussage
Man halte sich an diese Regel, schreibt heute die Eidgenössische Zollverwaltung, zu der das Grenzwachtkorps gehört. Die Zollverwaltung dementiert die Angaben von Flüchtlingshelfern und des Tessiner Sicherheitsdirektors: Somit steht es Aussage gegen Aussage.
Und das in einer politisch stark aufgeladenen Situation: An der Südgrenze stauen sich die Migranten. Die meisten von ihnen möchten durchreisen Richtung Deutschland. Die Schweizer Behörden stehen im Inland und international unter Druck, dies zu verhindern. Wie es weiter geht, ist offen.