Im Jahr 1958 drehte sich vieles um die Atomwissenschaft und die Bombe. Im Januar protestierten rund 9000 Wissenschaftler aus aller Welt gegen weitere Atomversuche; im Februar stürzte eine US-Wasserstoffbombe (ohne Zünder) in den Atlantik und im April startete in Brüssel die Expo 58. In der Weltausstellung wurde die Atomkraft als neue Zukunftstechnologie vorgestellt. Wahrzeichen der Expo – das Atomium.
Auch in der beschaulichen Schweiz bestimmte die Atomwissenschaft den gesellschaftlichen Diskurs. Die militärische Option einer nuklearen Bombe faszinierte das Militär wie auch die Politik. Knapp 13 Jahre nach Abwurf der Atombomben in Hiroshima und Nagasaki erlässt der Bundesrat 1958 eine Grundsatzerklärung: «Der Bundesrat ist der Ansicht, dass der Armee (...) die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören Atomwaffen.»
30 Jahre lang beriet eine Expertenkommission über die Machbarkeit und Verwendung nuklearer Waffen. Erst im November 1988, als sich das Ende des Kalten Krieges abzeichnete, löst Bundesrat Arnold Koller die Kommission auf. Wie es zum Wunsch nach einer Bombe gekommen ist, erläutert Militärhistoriker Rudolf Jaun.
SRF News : Herr Jaun, warum wollte der Bundesrat 1958 eigentlich die Atombombe?
Rudolf Jaun: Der Bundesrat wurde von den Schweizer Offizieren gepusht. Die Gründe liegen historisch aber weiter zurück. Schon im Herbst 1945, wenige Monate nach Kriegsende, wurden alle ETH-Physikprofessoren versammelt und eine Kommission gebildet. 1956 kam es dann zum Ungarn-Aufstand, dem Freiheitskampf gegen den Kommunismus und in der Schweiz zu einem Höhepunkt der Ablehnung des Sowjetsystem.
Wenn man heute die entsetzlichen Bilder in Hiroshima anguckt, kann man sich die Pläne zum Bau einer Atombombe nur schwer vorstellen.
Das stimmt, aus heutiger Sicht. Allerdings darf man nicht vergessen, wie die Amerikaner den Abwurf der Bombe erklärten: Im Krieg gegen Japan hätte man Insel um Insel erobern müssen. Die Anzahl der Toten wäre ungleich höher ausgefallen, so die Amerikaner. Der Bundesrat wusste damals nicht so recht ob Atomwaffen als taktische, zur Unterstützung des Kampfes der Milizarmee oder als strategische Waffe zur Gegendrohung angeschafft werden sollte. Er wollte sich einfach alles offenhalten.
Hätte die Schweiz eine Atombombe überhaupt bauen können?
Wissenschaftlich gesehen befand sich die Schweiz 1958 auf einer hohen Stufe. An der ETH lehrten namhafte Physik-Professoren. Und Uran wurde in der ganzen Schweiz gesucht. Allerdings vergeblich. Von einer zündbaren Bombe blieb die Schweiz allerdings weit entfernt. So weit, dass die Amerikaner nicht einmal ernsthaft intervenierten. Denn eines ist klar: Die USA hätten es niemals zugelassen, dass der Kleinstaat Schweiz eine Atombombe besitzt. Und 1968 wurde dann der Atomwaffensperrvertrag von den fünf Atommächten aufgesetzt. Die Pläne einer Atombombe fielen immer weiter zurück.
Wie hat die Schweizer Bevölkerung auf die Pläne des Bundesrats reagiert?
Zwei Abstimmungen zeigen ziemlich deutlich, wie die Stimmung damals war. 1962 und im darauffolgenden Jahr kam es zu Abstimmungen über die Atombombe. Zweimal unterlagen die Gegner der Atombombe sehr deutlich. Die Schweizer standen hinter der Regierung. Die Anti-Atomwaffen-Bewegung war isoliert. Die Stimmung damals wurde sehr geprägt vom Kampf gegen den Kommunismus. Eine Abstimmung zum Gripen wäre damals locker durchgekommen!
1988 hat dann Bundesrat Arnold Koller die Kommission aufgelöst. Warum eigentlich?
Das Ende des Kommunismus stand nahe. Im darauffolgenden Jahr kam es zum Mauerfall und Auflösung der Sowjetunion. Die Auflösung einer Kommission zum Bau einer Atombombe stiess auf keinen Widerstand mehr.