Im Ausland haben insgesamt 59,2 Prozent der Türken für die Einführung eines Präsidialsystems in ihrem Heimatland gestimmt. In der Türkei selber waren es lediglich 51,2 Prozent.
In europäischen Ländern fanden Erdogans Pläne bei den wahlberechtigten Türken regen Zuspruch. So sagten etwa rund 63 Prozent der Türken in Deutschland Ja. In den Niederlanden waren es 71 Prozent, in Österreich 73,5 Prozent. In Belgien stimmten gar 75 Prozent im Sinne von Erdogan.
Ganz anders sieht es aber in der Schweiz aus: Hierzulande konnte das Ja-Lager nur 38 Prozent verzeichnen, wie aus Zahlen der staatlichen Nachrichtenagentur Anadolu hervorgeht.
«Andere» Türken in der Schweiz
Eine Erklärung könnten die Einwanderungswellen der Vergangenheit liefern. Die ersten Türken wanderten Anfang der sechziger Jahre nach Europa ein. Türken kamen damals auch in die Schweiz, relativ gesehen jedoch weniger als etwa im Vergleich zu Deutschland. Es waren damals vor allem wenig gebildete Arbeitsmigranten.
Vergleichsweise viele Türken kamen hingegen wegen des Militärputsches von 1980 und des Kurdenkonflikts 1990 in die Schweiz. Viele verfolgte Linke und Kurden ersuchten damals hierzulande um Asyl – die meisten von ihnen dürften kaum Anhänger der Politik Erdogans sein. Die prokurdische Partei HDP ist in der Schweiz sehr stark. Und im Unterschied zu Deutschland ist die kurdische Arbeiterpartei PKK in der Schweiz nicht verboten.
Soziologin Bilgin Ayata von der Universität Basel ist allerdings erstaunt, dass so viele Türken in der Schweiz für das Referendum waren. «Ich bin überrascht, dass 40 Prozent Ja gestimmt haben», sagt Ayata. «Denn bisher war die Unterstützung für die Anliegen der AKP eher geringer.»
Die Debatte im Vorfeld habe eine Wirkung auf das Ergebnis gehabt, «denn es wurde schon im Vorfeld in der Öffentlichkeit eine Stimmung erzeugt, dass jene Migranten nicht erwünscht wären, die Ja stimmen.»
Opposition in der Schweiz wünscht Kritik
Erdogan-kritische Türken in der Schweiz melden am Tag nach dem Referendum Zweifel am rechtmässigen Ablauf an. Es sei «klarer Betrug», dass Stimmzettel ohne Stempel akzeptiert worden seien, sagte Hakn Gürgen, der Vertreter des Demokratischen Kongresses der Völker Schweiz (HDK). Der HDK ist die treibende Kraft hinter der Gründung der Oppositionspartei HDP.
Gürgen geht davon aus, dass Türken in der Schweiz nach dem Referendum nun verstärkt beobachtet oder ausspioniert werden. Vor allem säkulare Landsleute seien im Visier regierungsnaher Kreise. Gürgen wünschte sich, dass die Schweizer Regierung offiziell «Kritik ausüben würde» – am Verletzen demokratischer Regeln und an der Gewalt in der Türkei.
Vom Eidgenössischen Departement für auswärtige Angelegenheiten (EDA) hiess es indes, die Schweiz habe vom Ausgang der Volksabstimmung in der Türkei Kenntnis genommen. Zur Beurteilung über den Ablauf der Wahlen verweist das EDA auf die internationalen Beobachtermissionen.
Genfer Ergebnis fällt aus der Reihe
An den Abstimmungsergebnissen aus der Schweiz fällt die Stadt aus Genf auf. Dort legten jene Stimmenden, die im türkischen Konsulat in Genf ihre Stimme abgaben, mehrheitlich ein Ja in die Urne.
«Das verstehen wir nicht», sagt Celal Bayar von der Dachorganisation der türkischen Vereinigungen in der Romandie (FATSR) auf Anfrage. Auch die Gemeinschaft in Genf sei eher gegen die Reform gewesen. Allerdings hätten im Konsulat in Genf auch Türken aus Frankreich ihre Stimme abgeben können. Im grenznahen Frankreich sei die Ja-Tendenz stärker als in Genf, sagte Bayar.
FATSR-Präsident Bayar rechnet mit vorgezogenen Wahlen in der Türkei diesen Herbst und mit zwei weiteren Referenden im kommenden Jahr. Dabei werde es um die Frage der Beziehungen zur EU und um einen Austritt aus der Verteidigungsallianz Nato gehen.