Neun statt sieben Bundesräte: Nicht nur die Arbeitslast könnte besser verteilt, sondern vor allem die Sprachregionen könnten besser berücksichtigt werden. Das Anliegen ist in den letzten Jahren mehrmals verworfen worden. Die Mehrheit der Kantone lehnt es auch heute ab, die vorberatende Kommission des Nationalrats ist knapp dafür.
Nenad Stojanović, Politikwissenschaftler der Universität Luzern, hat die Zusammensetzung des Bundesrats seit 1848 untersucht. Er befürwortet eine solche Reform des Bundesrats.
SRF News: Wie gross das Problem überhaupt? Sind die Sprachgemeinschaften denn bisher unangemessen vertreten?
Nenad Stojanović: Das Problem war bis vor Kurzem nicht gravierend. Die Zahlen seit 1848 zeigen klar, dass die sprachregionale Verteilung lange Zeit ziemlich genau stimmte.
Aber: Seit 1999 – als die sogenannte Kantonsklausel, die verhindert, das zwei Bundesräte aus demselben Kanton gewählt werden können, abgeschafft wurde – gibt es zwei Probleme: Erstens ist seither die regionale Unausgewogenheit so gross wie nie zuvor.
Seit Johann Schneider-Ammanns Wahl im Jahr 2010 stammen vier von sieben Bundesräten aus dem Espace Mittelland (BE, FR, NE, JU, SO) – neben Schneider-Ammann, Simonetta Sommaruga, Alain Berset und Didier Burkhalter.
Zweitens haben es seither vor allem Tessiner KandidatInnen schwer. Sie haben de facto nicht die gleichen Chancen wie die anderen. Das ist vor allem darauf zurückzuführen, dass die alte Zauberformel seit Ende 2003 ausser Kraft ist. Gemäss diesem ungeschriebenen Gesetz stellte die CVP jeweils zwei Bundesräte. Vier von fünf Tessiner Bundesräte im 20. Jahrhundert gehörten der CVP an. Jetzt, wo die CVP nur noch einen Bundesrat stellt, ist es wenig wahrscheinlich, dass sie diesen Sitz mit einem Tessiner besetzt.
Würde sich die Situation mit neun Bundesräten denn automatisch verbessern?
Es gibt natürlich keinen Automatismus, aber klar könnten die Sprachminderheiten aber auch die Regionen – insbesondere die Zentral- und Ostschweiz – besser berücksichtigt werden.
Zur Debatte steht ja auch, dass der Artikel in der Bundesverfassung neu formuliert wird, in dem steht, dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sein sollten. Warum das?
Das ist aus meiner Sicht absolut wichtig. Das Problem ist, dass in der heutigen Formulierung, sich die deutsche Fassung von der französischen und italienischen unterscheidet. Während es in der Fassung von 1999 auf Deutsch heisst, bei der Wahl habe die Bundesversammlung, «darauf Rücksicht zu nehmen, dass die Landesgegenden und Sprachregionen angemessen vertreten sind», ist dieselbe Bestimmung auf Französisch viel eindeutiger: Die verschiedenen Regionen und Sprachgemeinschaften «doivent être équitablement représentées». Analog dazu lautet auch die italienische Übersetzung.
Ich finde es schlicht und einfach unglaublich und der Bundesverfassung unwürdig, dass dieser Artikel in den verschiedenen Sprachen so unterschiedlich tönt.
Das muss dringend angepasst werden.
Welche politischen Chancen geben Sie dem Anliegen denn dieses Mal?
Chancenlos im Parlament ist der Vorschlag nicht. Vor vier Jahren wurde eine ähnliche Standesinitiative des Kantons Tessin nur knapp abgelehnt. Die SVP ist auch jetzt dagegen, die SP dafür. Entscheidend sind also CVP und FDP. Weil mit Ignazio Cassis und Filippo Lombardi die Fraktionschefs dieser beiden Parteien aus dem Tessin kommen, könnte es diesmal reichen. Die beiden haben sich in der Vergangenheit auch positiv zu einer Änderung geäussert. Schwieriger wird es die Vorlage aber vor dem Volk haben, da dann die Frage der Kosten im Abstimmungskampf dominieren wird.
Das Gespräch führte Klaus Ammann.