Der Gotthard hat eine grosse Symbolkraft: Früher war er der Inbegriff der unbezwingbaren Alpenfestung, heute ist es die wichtigste Verkehrsverbindung zwischen Nord und Süd, welche die Gemüter erhitzt. Doch der Streit um eine zweite Gotthard-Röhre ist auch eine Stellvertreter-Diskussion: Eigentlich geht es um die Frage, welche Verkehrspolitik für die Schweiz die richtige ist.
Autolobby vs. Umweltlobby
Dabei stehen sich zwei unversöhnliche Lager gegenüber: Die Automobillobby, die sich gegen Einschränkungen wehrt, prallt auf die Umweltlobby, die den Verkehr auf die Schiene verlagern will. Die Umweltlobby kann sich dabei auf den Alpenschutz-Artikel in der Bundesverfassung berufen.
Dieser besagt, dass der Bund das Alpengebiet vor den negativen Auswirkungen des Transitverkehrs schützen muss. Im Vorteil ist hier die Umweltlobby: Der Bundesrat muss im aktuellen Verlagerungsbericht eingestehen, dass das Ziel einer Verlagerung des Verkehrs von der Strasse auf die Schiene nicht erreicht wird.
Mit Alpenschutz-Artikel vereinbar?
Kommt hinzu: Laut Alpenschutz-Artikel darf die «Transitstrassen-Kapazität im Alpengebiet nicht erhöht werden». Der Bundesrat argumentiert nun, dass die Fläche, die für den Verkehr zur Verfügung stehe, durch einen zweiten Tunnel nicht erweitert werde. Denn schliesslich soll nach seinen Plänen pro Tunnel nur eine Fahrspur für den Verkehr geöffnet werden. Deshalb sei ein zweiter Tunnel mit der Verfassung vereinbar.
Das kann man aber auch anders sehen: Wenn eine zweite Röhre mit zwei Fahrspuren gebaut wird, steigt die Kapazität – sie wird einfach nur zur Hälfte genutzt. Insofern könnte man von einem Verstoss gegen die Verfassung sprechen. Sicher kann man einzig sagen, dass garantiert nicht gegen die Verfassung verstossen wird, wenn man keine zweite Röhre baut.
Mehr Verkehr mit zweitem Tunnel?
Umstritten ist auch, ob der Bau einer zweiten Strassenröhre mehr Verkehr zur Folge hat. Laut Bundesrat bleibt das Verkehrsvolumen in etwa gleich, wenn in beide Fahrtrichtungen je nur eine Fahrspur offen ist. Die Gegner der zweiten Röhre sagen dagegen, ein zweiter Tunnel habe eine Sogwirkung. Viele Automobilisten würden heute durch den Gegenverkehr im Gotthardtunnel abgeschreckt. Wenn es zwei Tunnel ohne Gegenverkehr gebe, sei das attraktiver und führe zu Mehrverkehr.
Das letzte Wort in der ganzen Geschichte aber wird das Volk haben, das ist so sicher wie der Osterstau am Gotthard. Die Initianten der Alpeninitiative haben das Referendum bereits angedroht. Die Präsidentin der Grünen Partei, Regula Rytz, hat die Druckmaschine für die Unterschriftenbögen praktisch schon angeworfen, wie sie kürzlich erklärt hat.