Vom Tankwart zum Millionär, vom Heimkind zum Wohltäter: Auf Guido Fluri, Vater von drei Kindern, trifft wohl beides zu. Heute lebt der 50-jährige Unternehmer mit seiner Familie wohlbehütet in einem Haus in Cham (ZG). Seine eigene Kindheit war dagegen kein Zuckerschlecken. Seine Mutter war erst 17 Jahre alt, als sie ihn in Olten (SO) zur Welt brachte; der Vater ein verheirateter Mann, ein Unbekannter.
Als sie kurz nach seiner Geburt an Schizophrenie erkrankt, wird er bei seinen Grosseltern, aber auch eine Zeit lang in einem Kinderheim in Mümliswil/SO untergebracht. Zimperlich geht man da nicht um mit den Schutzbefohlenen.
Der Startschuss für die Wiedergutmachungsinitiative
2013: Der einstige Lehrabbrecher Fluri ist mit Immobilien und Mode inzwischen zu einem stattlichen Vermögen gekommen. Er kauft das Heim und schafft dort eine Gedenkstätte für Heim- und Verdingkinder. Sie ist Teil seines Engagements für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, ein Teil seiner Lebensgeschichte.
2014 lanciert Fluri die Volksinitiative «Wiedergutmachung für Verdingkinder und Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen». Unterschriften erhält das Anliegen genug: Das Thema, ein dunkles Kapitel der Schweizer Geschichte, wühlt viele auf.
Geschehenes Unrecht soll in die Geschichtsbücher
2015 lehnt der Bundesrat die Initiative zwar ab, macht aber einen indirekten Gegenvorschlag. Dieser fällt etwas bescheidener aus. Statt der geforderten 500 Millionen Franken sollen nur 300 Millionen bereitgestellt werden. Doch auch er sieht eine historische Aufarbeitung der Geschehnisse bis zum Stichjahr 1981 vor. Das erlittene Unrecht müsse gesetzlich anerkannt, die Akten gesichert und die Akteneinsicht für die Betroffenen geregelt werden, heisst es im Gesetzesentwurf.
Das Druckmittel eines möglicherweise erfolgreichen Urnengangs zeigt Wirkung: Dieses Frühjahr, während der Sondersession, heisst der Nationalrat den indirekten Gegenvorschlag des Bundesrates zur Wiedergutmachungsinitiative gut. Dies notabene, nachdem das Parlament eine finanzielle Entschädigung drei Jahre zuvor noch strikte ablehnte. Ein Erfolg für Fluri und die Stiftung, die er ins Leben rief.
Es ist nicht der einzige Lichtblick: Entschuldigungen von Bundesrätinnen kommen dazu, ein Papstbesuch mit Missbrauchsopfern, mehrere Beratungsstellen für Opfer von Zwangsmassnahmen, und ein Runder Tisch, der zusammen mit dem Parlament, den Kantonen und der Glückskette einen Soforthilfefonds für Härtefälle schuf. Vergangene Woche enthüllte die Post zudem eine Verdingkindern gewidmete Sonderbriefmarke.
Nächste Kampagne: Ombudsstelle für die Kesb
Nun hat auch der Ständerat den Gegenvorschlag des Bundesrates angenommen. Ein historischer Tag für Fluri: «Auf diesen Augenblick haben die Opfer jahrzehntelang gewartet.» Die letzten drei Jahre seien eine Achterbahn der Gefühle und eine grosse emotionale Belastung gewesen, gibt er zu. «Unsere Initiative ist mit Nichts ausser unseren Argumenten, den tragischen Geschichten und der klaren Überzeugung, dass wir für die gerechte Sache kämpfen, an den Start gegangen.»
Der Geschäftsmann ist erleichtert: «Wir haben ein Stück Gerechtigkeit wiederhergestellt. Dafür hat sich alles gelohnt. Alles.» Das nächste Ziel hat Fluri allerdings schon vor Augen: Die Kinder- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb), die sich in jüngster Zeit wiederholt mit Vorwürfen konfrontiert sah, soll eine Ombudsstelle erhalten. Die Chancen hierzu stehen nicht schlecht. Die Konferenz für Kindes- und Erwachsenenschutz (Kokes) reagierte positiv auf den Vorschlag.
(Sendebezug: SRF 4 News, 13:30 Uhr)