Der Nationalrat hat in einer ausserordentlichen Session über die «Flüchtlingswelle» in Europa debattiert. Hier die Resultate im Überblick:
- Systematische Grenzkontrollen sofort einführen – abgelehnt
- Rasche Hilfe bei Flüchtlingstragödien im Mittelmeer – Teile angenommen
- Nur noch vorläufiger Schutz für eritreische Asylbewerber – abgelehnt
- Bericht zu wirtschaftlichen Vorteilen von Schengen – angenommen
- Asylbewerber besser in den Arbeitsmarkt integrieren – zurückgezogen
- Strategie zu Herausforderungen der Asylpolitik – abgelehnt
Die Sonderdebatte zur Flüchtlingskrise hatte die SVP gefordert. Die Kontrolle der Schengen-Aussengrenzen funktioniere nicht mehr, stellten die SVP-Redner fest. Die Landesgrenzen müssten deshalb so rasch wie möglich systematisch kontrolliert werden. Das Grenzwachtkorps könne dabei von der Armee unterstützt werden.
«Terroristen an Grenze erkennen»
Thomas Hurter (SVP/SH), gestern noch als möglicher Bundesratskandidat gehandelt, ergriff als Erster das Wort. Im Namen seiner Fraktion bat er um Unterstützung für systematische Grenzkontrollen. Dank ihnen könne man Terroristen erkennen.
Aber auch die Signalwirkung nach Aussen führte er ins Feld. Schlepperbanden könnten abgeschreckt werden. Dass kilometerlange Staus drohen würden, akzeptierte er nicht als Gegenargument. Schliesslich stehe man schon heute manchmal stundenlang im Stau, um im Ausland billiger einzukaufen.
Eine humanitäre Lösung des Flüchtlingsproblems verlangt hingegen eine Motion der Grünen. Ratsneuling Lisa Mazzone (Grüne/GE) verteidigte den Vorstoss ihrer Partei: Flüchtlinge sollen bereits im Ausland im Rahmen des Botschaftsasyls einen Asylantrag stellen können. Es sollen Zugangswege nach Europa freigemacht werden, um den Schleppern das Handwerk zu legen und weitere Bootsunglücke im Mittelmeer zu verhindern. Der Bundesrat tue zu wenig, sind die Grünen überzeugt.
Roger Köppels erster Auftritt
Kurt Fluri (FDP/SO) erläuterte den Antrag seiner Fraktion, Eritreern nur noch vorläufigen Schutz zu gewähren. Damit werde ein Asylantrag sistiert und ein vorübergehender Schutz gewährt – etwas, was das Asylrecht vorsehe, jedoch noch nie angewandt wurde.
Roger Köppel (SVP/ZH), neu im Nationalrat, hielt Fluri vor, dass der Vorstoss gut gemeint sei, er würde eine Verschärfung in der Praxis bedeuten. «Doch sind Sie sich bewusst, dass Sie Eritrea damit zu einem Land erklären, das ein Kriegsgebiet ist?» Der sogenannte Schutzstatus «S» würde das Tor für eine riesige Migration öffnen, warnte er. Fluri wehrte sich: Der Gesetzesartikel fände nicht nur in Kriegszeiten, sondern auch in der Situation allgemeiner Gewalt Anwendung.
«Hilfe für Reintegration vor Ort»
Die SP-Fraktion hat ihrerseits ein Postulat eingereicht, das die Überprüfung der wirtschaftlichen Vorteile der Schengen-Partnerschaft verlangt. Diese seien bisher stets ausgeklammert worden, kritisiert Prisca Birrer-Heimo (SP/LU). «Stattdessen standen soziale Sicherheit und Bewegungsfreiheit im Vordergrund.» Der Bundesrat unterstützt die Forderung nach einem Bericht.
Die CVP vermisst eine gesamtheitliche Strategie zu den aktuellen Herausforderungen in der Asylpolitik. Ruth Humbel (CVP/AG) sieht insbesondere Handlungsbedarf in einer besseren Zusammenarbeit zwischen dem Aussen- und dem Justiz- und Polizeidepartement.
Die Schweiz müsse sich stärker vor Ort engagieren und vermehrt mit der EU zusammenarbeiten. Die Motion der Mittepartei sieht zudem eine Erhöhung der Gelder für die Reintegration von Flüchtlingen in den Herkunftsgebieten vor. Denn dort sei die Hilfe am effektivsten, so Humbel.
Die Motion der BDP hat zum Ziel, Asylsuchende in der Schweiz besser in den Arbeitsprozess einzugliedern. Da liege noch viel Potenzial brach, sagte Hans Grunder (BDP/BE). Ausserdem könne damit der Asylmissbrauch reduziert und der Bedarf an ausländischen Arbeitskräften – etwa in der Landwirtschaft – gesenkt werden. Obwohl der Bundesrat dem Anliegen in mehreren Punkten beipflichtet, lehnt er es ab. Die BDP zog die Motion vor der Abstimmung in der grossen Kammer zurück.
«Machen Sie der Bevölkerung nichts vor»
Bundespräsidentin Simonetta Sommaruga äusserte sich ebenfalls zur Asyldebatte im Nationalrat. «Die Hilfe vor Ort ist migrationspolitisch die grösste Aufgabe, die wir haben», betonte sie. Denn die Mehrheit der Flüchtlinge komme gar nicht erst nach Europa.
Sie machte darauf aufmerksam, dass es auch vor Schengen keine systematischen Kontrollen gab, wie sie die SVP jetzt fordere. «Alle in diesem Saal wissen, dass systematische Grenzkontrollen unmöglich durchzuführen sind.» Sie appellierte an die SVP: «Machen Sie der Bevölkerung nicht vor, dass Sie mit solchen Motionen etwas zur Verbesserung der Sicherheit oder für das Asylwesen tun.» Das Begehren wurde mit 111 zu 73 Stimmen abgelehnt.
Teilerfolg für Anliegen der Grünen
Angenommen hat der Nationalrat zwei Punkte aus der Motion der Grünen. Demnach soll die Schweiz Italien und Griechenland bei der Bewältigung der Herausforderungen direkt unterstützen. Auch soll sie die Hilfe vor Ort für syrische Bürgerkriegsflüchtlinge verstärken.
Nein sagte der Nationalrat hingegen zur Forderung der Grünen, das Botschaftsasyl wieder einzuführen. Deutlich abgelehnt hat die grosse Kammer auch die FDP-Forderung, Asylsuchenden aus Eritrea nur noch vorläufigen Schutz zu gewähren; als «Schutzbedürftige» mit Status «S».
Ja sagte der Rat zum Postulat der SP: Der Bundesrat soll in einem Bericht die wirtschaftlichen Auswirkungen der Assoziierung an Schengen aufzeigen, namentlich mit Blick auf den Tourismus und die Vereinfachung von Verwaltungsabläufen.