Bei der parlamentarischen Initiative des vormaligen Nationalrats Paul Rechsteiner (SP) geht es um Tausende von Menschen, die seit Mitte des 19. Jahrhunderts in der Schweiz ohne Gerichtsurteil weggesperrt wurden. Sie hatten zumeist keinen Rechtsschutz und wurden in Anstalten oder Gefängnisse eingewiesen.
Die Kantons- und Gemeindebehörden begründeten diese «administrative Versorgung» etwa mit Arbeitsscheu, Liederlichkeit oder lasterhaftem Leben. Aber auch unverheiratete Mütter konnte es treffen. Erst mit der Einführung der fürsorgerischen Freiheitsentziehung 1981 schob das strengere Bundesrecht der Praxis einen Riegel, wie Kommissionssprecher Andrea Caroni (FDP/AR) darlegte.
Entschuldigung auf höchster Ebene
Für das unermessliche Leid haben sich bereits Mitglieder des Bundesrats entschuldigt. So etwa 2010 die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf in Hindelbank, wo viele Opfer einsassen. Im letzten April entschuldigte sich Justizministerin Simonetta Sommaruga in Bern im Namen der Landesregierung.
Mit dem Bundesgesetz soll nun die Entschuldigung auf die höchste Stufe der Schweiz gehoben werden. Es gehe weniger darum, damalige Behörden zu richten, betonte Caroni im Namen der Kommission. Heutige Wertvorstellungen sollten nicht eins zu eins auf die Vergangenheit zurückprojiziert werden: «Wir gehen zukunftsgewandt vor und wollen festhalten, dass die Massnahmen zumindest unserem heutigen Empfinden diametral entgegenlaufen.»
Keine Entschädigung durch den Bund
Auch sei es nicht am Bund, Entschädigung für das Verhalten von kantonalen und kommunalen Behörden zu leisten. Eine finanzielle Wiedergutmachung auf kantonaler und Gemeindeeben sei damit nicht ausgeschlossen, erklärte Caroni.
Der Nationalrat stimmte nach engagierter Debatte dem neuen Gesetz mit 142 zu 45 Stimmen bei vier Enthaltungen zu. Es anerkennt das schwere Unrecht und gewährt den Betroffenen Akteneinsicht. Zugleich sollen die damaligen Vorgänge wissenschaftlich aufgearbeitet werden. Die Vorlage geht nun an den Ständerat.
Was läuft am Runden Tisch von Sommaruga?
Bundesrätin Sommaruga äusserte sich im Rat zum Runden Tisch für die Opfer fürsorgerischer Zwangsmassnahmen. Dieser setze sich auch für die bessere Zusammenarbeit der kantonalen Anlaufstellen ein. Ein Gutachten des schweizerischen Instituts für Rechtsvergleichung werde zudem aufzeigen, wie ausländische Staaten vergleichbare Missstände aufgearbeitet hätten. Man habe zudem bereits Empfehlungen der Archivdirektorenkonferenz verabschiedet, die den Betroffenen die Akteneinsicht erleichtern soll.
«All dies macht deutlich, dass allfällige finanzielle Leistungen nur ein Aspekt der Aufarbeitung sind», betonte Sommaruga. Eine parlamentarische Gruppe, die auch am Runden Tisch vertreten sei, begleite die Arbeiten. Dies sei auch mit Blick auf spätere politische Entscheide wichtig. Sommaruga erwähnte dabei auch die Volksinitiative, die von unzufriedenen Betroffenen zurzeit diskutiert wird.