Jahrzehntelang ist das Thema ein Tabu: Zu fremdplatzierten, ausgenützten, misshandelten Kindern und Jugendlichen mag sich die Politik nicht äussern. Ein erster Vorstoss für eine unabhängige Untersuchungskommission vor siebzehn Jahren wird lange Zeit später ohne Folgen abgeschrieben. Auf eine Vorlage für eine Entschädigung der Opfer treten die eidgenössischen Räte 2004 nicht einmal ein.
Erst im September 2010 bittet die damalige Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf die Betroffenen an einem Gedenkanlass erstmals um Entschuldigung. Und ihre Nachfolgerin Simonetta Sommaruga doppelt drei Jahre später nach: «Für das Leid, das Ihnen angetan wurde, bitte ich Sie im Namen der Landesregierung – aufrichtig und von ganzem Herzen – um Entschuldigung.»
Ehemaliges Heimkind nahm das Heft in die Hand
Mit einem Gesetz werden die Opfer von Zwangsmassnahmen im August 2014 rehabilitiert, es fliessen erste Zahlungen aus einem Soforthilfefonds. Ein runder Tisch unter Leitung von alt Ständerat Hansruedi Stadler bringt Betroffene und Behörden zusammen. Die Gespräche seien «sehr schwierig», gewesen. sagt Stadler danach. «Man prallt aufeinander.»
Der Zuger Unternehmer Guido Fluri, selber ein Heimkind, nimmt dann das Heft in die Hand. Er sammelt Unterschriften für eine «Wiedergutmachungsinitiative», die er vorletztes Jahr im Dezember einreicht. Er fordert einen Fonds mit 500 Millionen Franken für unmittelbar und schwer betroffene Menschen.
«Wir möchten diese Menschen nicht reich machen», sagt Fluri. «Aber wir möchten, dass ein Zeichen gesetzt wird und dieses Unrecht endlich anerkannt wird.»
Bundesrat will weniger zahlen
Aber der Bundesrat entscheidet sich für einen anderen Weg: Für ein Bundesgesetz mit einem kleineren Fonds. Der Delegierte des Bundes für die Opfer von fürsorgerischen Zwangsmassnahmen, Luzius Mader, stellt fest: «Das ist vielleicht auch ein sicherer Weg.»
Das sei immerhin endlich eine Reaktion, freut sich Initiant Guido Fluri. Er nennt es gar einen «Meilenstein». Nun muss das Parlament diesen Meilenstein nur noch einbetonieren, damit die Initianten ihre «Wiedergutmachungsinitiative» zurückziehen können. Der heute 80-jährige ehemalige Verdingbub Hugo Zingg mahnt: «Wir wollen, dass das einmal erledigt wird. Dann können wir Frieden schliessen – in einem gewissen Sinne.»