Der grünliberale Nationalrat Josias Gasser versuchte es mit einem drastischen Appell. «Was machen Sie, wenn jetzt der Alarm durchs Bundeshaus fegt, weil in kaum 20 Kilometern Entfernung eines der ältesten KKW ernsthafte Probleme hat?», fragte er seine Ratskollegen. Dies, nachdem er sich vorher einen Mundschutz aufgesetzt hatte und mit einer Trillerpfeife einen Alarm nachahmte.
Thema der passionierten Debatte war die Grünen-Initiative zum Atomausstieg (siehe Box). Die Grünen fordern, die Laufzeiten der AKW zu begrenzen. «Nach dem gestrigen Entscheid kann man nicht mehr von einem Atomausstieg sprechen», sagte Grünen-Nationalrat Bastien Girod. 2050 könnten die Kernkraftwerke noch immer am Netz sein.
Kein guter erster Platz
Girods Parteikollegin Aline Trede zählte die Namen all jener Nationalräte auf, die 2011 angegeben hatten, für den Atomausstieg zu sein. Trede forderte sie auf, für ihre Wahlversprechen einzustehen. «Wir sind Weltmeister in der Kategorie 'Wer schafft es am längsten, ein AKW am Leben zu erhalten'», sagte die Bernerin. «Diese Rangliste würde ich gerne nicht mehr anführen.»
Von linker und grünliberaler Seite erhielten die Grünen Unterstützung: «Der Betrieb von Atomkraftwerken ist nur möglich, weil er subventioniert wird», sagte SP-Nationalrat Jean-François Steiert. Die Kosten für den Abbau würden heute nicht korrekt berechnet. SP-Nationalrätin Bea Heim warnte vor einem neuen Gau. «Statistisch gesehen dürfte ein Unglück nur alle 10‘000 Jahre vorkommen», sagte sie. In Realität sei der Gau aber alle 8 bis 10 Jahre eingetreten mit den Unglücken in Three Miles Island, Tschernobyl und Fukushima.
Druck auf den Ständerat
Selbst die Grünliberalen, die in der gestrigen Debatte noch für eine Laufzeitbeschränkung von 50 Jahren plädiert hatten, wollten der Initiative nun zustimmen. Damit wollen sie den Druck auf den Ständerat erhöhen, damit er in der Energiewende «die Sicherheit vor die Wirtschaft» stelle. Der Ständerat wird die Energiewende als Zweitrat im nächsten Jahr diskutieren.
Trotz der Unterstützung von links und grünliberal lehnte eine Mehrheit aus Mitte- und rechten Parteien die Initiative ab. Der Entscheid fiel mit 120 zu 71 Stimmen. Die Gegner erklärten die Initiative für unrealistisch, wie dies FDP-Nationalrat Cristian Wasserfallen in seinem Votum – gleich doppelt – tat: «Mit der Initiative müssten wir bis 2029 40 Prozent unseres Stroms ersetzen. Das ist nicht nur unmöglich, das ist eine schlichte Utopie.»
AKW sind keine Waschmaschinen
Wasserfallen warnte vor Schadenersatzklagen der Betreiber, die bei einer verfrühten Abschaltung drohten. Dazu warf er den Initianten Wunschdenken vor: «Ein Atomkraftwerk ist nicht so einfach abzustellen wie eine Waschmaschine.» Das Kraftwerk Beznau I ein Jahr nach der Annahme der Vorlage vom Netz zu nehmen, wie dies die Initiative fordere, sei nicht machbar.
Die CVP empfahl die Initiative ebenfalls zur Ablehnung. Die Fristen einer Stilllegung seien mit 45 Jahren viel zu kurz berechnet. «Damit würden wir uns von ausländischer Kohle und von Gaskombikraftwerken abhängig machen», sagte Nationalrat Daniel Fässler.
Auch die SVP stellte sich gegen die Vorlage. «Woher der Strom kommt, wenn die Sonne nicht scheint, oder wenn es nicht windet, hat bisher niemand beantwortet», brachte Nationalrat Albert Rösti die Meinung seiner Partei auf den Punkt.