Das Wichtigste in Kürze:
- Die Schweiz exportiert immer weniger Kriegsmaterial – so jedenfalls informierte letzte Woche das Staatssekretariat für Wirtschaft, Link öffnet in einem neuen Fensterim Browser öffnen.
- Tatsächlich wird der grösste Teil der Schweizer Rüstungsexporte in der Kriegsmaterial-Statistik aber gar nicht erfasst.
- Grund dafür sei die erfolgreiche Lobby-Arbeit der Rüstungsindustrie im Parlament, meinen Kritiker.
Der weltweite Handel mit Waffen boomt, aber Schweizer Kriegsmaterialexporte gehen zurück. Für gerade noch 412 Millionen Franken wurden letztes Jahr Feuerleitgeräte, Fliegerabwehrsysteme, Munition, oder kleine und leichte Waffen ins Ausland verkauft – so wenig wie noch nie seit 2006, hiess es bei der jährlichen Präsentation der Kriegsmaterialausfuhrstatistik.
Doch die gute Nachricht aus Sicht der Schweizer Rüstungsindustrie folgte gleich danach, als Jürgen Böhler, Leiter Exportkontrollen beim Staatssekretariat für Wirtschaft, nach dem Kriegsmaterial- noch kurz auf das Güterkontrollgesetz einging: «Im Rahmen dieses Gesetzes werden nicht nur Dual-Use- oder Nuklear-Güter, sondern auch sogenannt militärische Güter beurteilt, bewilligt oder verweigert.»
Letzteres allerdings sehr selten. In der Regel werden Exportgesuche für diese «besonderen militärischen Güter» bewilligt – vergangenes Jahr im Umfang von fast 700 Millionen Franken, also für deutlich mehr als für Kriegsmaterial im engeren Sinn.
Eine Frage der Definition
Dabei ist die Unterscheidung schwierig zu verstehen: Militärische Trainingsflugzeuge etwa gelten nicht als Kriegsmaterial, sondern sind eben «besondere militärische Güter», wie auch Tarnnetze, Helme und andere Ausrüstungsgegenstände für Soldaten. Vor allem fallen darunter auch Bestandteile von Waffen und Waffensystemen, oft hoch spezialisierte, nur für Rüstungszwecke geeignete High-Tech-Geräte.
Alles, was knallt, fällt also unter das Kriesgmaterialgesetz, alles, was die Knallerei ermöglicht aber unter das Güterkontrollgesetz. Eine im internationalen Vergleich ziemlich einmalige Definition, kritisiert Peter Hug, Sekretär für Friedens-, Aussen- und Sicherheitspolitik bei der SP Schweiz:
Das war politisch vom Parlament so gewollt, dort ist die Rüstungs-Lobby extrem stark. Letztere will, dass so wenig wie möglich dem Kriegsmaterialgesetz unterstellt wird.
Denn, so Hug, das Kriegsmaterialgesetz habe «sehr viel mehr Zähne» als das Güterkontrollgesetz. So können Exportgesuche für besondere militärische Güter nur abgelehnt werden, wenn diese der Herstellung von Massenvernichtungswaffen dienen, wenn sie Terroristen oder der organisierten Kriminalität nützen oder wenn die Lieferung gegen internationale Abkommen verstösst.
Bestandteile statt ganze Waffensysteme
Das Kriegsmaterialgesetz dagegen sieht drei zusätzliche Ablehnungsgründe für Rüstungsexporte vor, so Hug: «Wenn ein Land in Kriege verwickelt ist oder auch, wenn es systematisch Menschenrechte verletzt. Zudem müssen die Ziele der Entwicklungszusammenarbeit berücksichtigt werden.» All dies ist im Güterkontrollgesetz nicht vorgesehen. Dabei wird gerade dieses Gesetz immer wichtiger, während das Kriegsmaterialgesetz an Bedeutung verliert.
Denn fixfertige Waffen- und Waffensysteme werden immer weniger gehandelt, dafür immer mehr hochspezialisierte Waffenbestandteile, beobachtet Böhler vom Staatssekretariat für Wirtschaft: «Im Bereich des Güterkontrollgesetzes stellen wir eine Tendenz fest, dass nicht mehr militärische Güter ausgeführt, sondern vermehrt Bestandteile ausgeführt werden, die für einen militärischen Zweck besonders konstruiert sind.» Diese würden dann, einmal im Abnehmerland angekommen, in Rüstungsgüter eingebaut.
Der Ball liegt bei der Politik
Das führe zu einer massiven Aushöhlung des Kriegsmaterialgesetzes, kritisiert SP-Sekretär Hug: «Damit werden immer weniger erfasst, die eigentlich relevant wären.» Mit dem Güterkontrollgesetz alleine könne die Schweizer Regierung keine eigenständigen Exportkontrollen vornehmen.
Dazu durfte sich Seco-Mann Böhler nach der Medienkonferenz nicht mehr äussern. Das Staatssekretariat für Wirtschaft äusserte sich lediglich schriftlich: «Es obliegt dem Gesetzgeber – dem Parlament – die Kompetenzen festzulegen, welche dem Bundesrat übertragen werden sollen. Die Bewilligungsbehörden führen die Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen aus.»
Im Parlament und in der Regierung aber haben schärfere Ausfuhrbestimmungen für Schweizer Rüstungsmaterial derzeit keine Chance. Im Gegenteil: Vergangenen April hob der Bundesrat sogar einen vorübergehenden Lieferstopp nach Saudi-Arabien wieder auf. Prompt avancierte das islamische Königreich letztes Jahr zum zehntgrössten Käufer von Schweizer Kriegsmaterial.