CDU-Politiker Norbert Röttgen ist Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages. Und er ist Mitautor der Studie «Europe after Brexit».
Das Papier hat es in sich. Denn es bricht ein europapolitisches Tabu. Röttgen und seine Mitautoren schlagen vor, England und der Schweiz freien Zugang zum EU-Binnenmarkt zu gewähren – ohne die volle Personenfreizügigkeit. Die «besonderen Bedürfnisse und Sensibilitäten gerade bei der Personenfreizügigkeit» seien zu respektieren, erklärt Röttgen im Interview mit der «Rundschau». Lanciert hatte die Idee dieser sogenannten «kontinentalen Partnerschaft» der renommierte Think Tank Bruegel.
Prodi bezeichnet die Idee als realistisch
Vertiefung
Röttgen ist nicht allein. Romano Prodi war von 1999 bis 2004 EU-Kommissionspräsident. Selbst der überzeugte Europäer glaubt nicht mehr daran, dass die volle Personenfreizügigkeit gegenüber Grossbritannien und der Schweiz durchgesetzt werden kann: «Das ist problematisch. Aber auf der anderen Seite sind Grossbritannien und die Schweiz keine EU-Mitglieder.»
Prodi betont, die volle Personenfreizügigkeit müsse vor allem für alle EU-Länder gelten. «Nicht-Mitglieder können andere Bedingungen aushandeln.»
«Wir sind eine schrumpfende Minderheit als Europäer auf dieser Welt», sagt Norbert Röttgen. Der Kontinent brauche deshalb Zusammenhalt und dürfe sich deshalb nicht spalten lassen. «Sonst ist Europa am Ende des Tages gefährdet.»
Röttgen und Prodi betonen deshalb beide die Wichtigkeit funktionierender und enger Beziehungen der EU zu den Nichtmitgliedern – wie die Schweiz und nach erfolgtem Brexit auch Grossbritannien.
Grosser politischer Widerstand
Keine Freude an solche Ideen für eine «kontinentale Partnerschaft» mit eingeschränkter Personenfreizügigkeit hat die heutige EU-Spitze. Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker hat heute in seiner Rede zur Lage Europas noch einmal betont, «unbeschränkten Zugang zum Binnenmarkt gibt es nur für jene, die sich der Personenfreizügigkeit verpflichtet fühlen. Es wird keinen Binnenmarkt à La Carte geben».
Trotzdem halten die Autoren ihr Modell nicht für chancenlos. «Das ist eine Verhandlungsposition», sagt dazu Norbert Röttgen. «Im Prinzip habe ich keinen Zweifel, dass die EU ein Angebot für ihre Nachbarn braucht.»