- Der Zürcher Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde (Kesb) wird regelmässig vorgeworfen, sie platziere schutzbedürftige Kinder in Heimen, anstatt sie bei Verwandten unterzubringen.
- Die Kesb der Stadt Zürich – die grösste solche Behörde in der Deutschschweiz – hat an ihrer jährlichen Medienkonferenz Stellung dazu genommen.
Buchautorin Julia Onken ist eine der prominentesten Kritikerinnen der Kesb in der Schweiz. Ihr Standpunkt: Die Behörde entscheide viel zu wenig aus der Sicht der betroffenen Kinder. «Wenn man die Eltern und das familiäre Umfeld nicht einbezieht, wird es immer einen Verwaltungsakt geben. Es kann nie im Sinne des Kindes sein», sagt sie. Die Kesb müsse Familienmitglieder besser in die Entscheidungen miteinbeziehen und zum Beispiel schauen, ob nicht Angehörige als Beistand eingesetzt werden könnten.
Bei Kindern haben wir in der Regel sehr komplexe Situationen mit psychischen Krankheiten und Eltern, die überfordert sind
Genau dies werde schon seit Jahren so gehandhabt, sagt dazu Michael Allgäuer, Präsident der Kesb Stadt Zürich. Dies zeigen laut ihm auch die Zahlen: Im letzten Jahr seien weit über 2000 Fälle an die Kesb herangetragen worden, aktiv geworden sei die Behörde nur in einem Drittel der Fälle. «Wichtig ist bei unserer Arbeit, zu schauen, ob es ohne Massnahmen geht, ob man mit Unterstützungsangeboten in der Familie eine Lösung finden kann. Das ist unser Ziel», sagt Allgäuer.
«Das Kind ist auf eine innige Weise mit seinen Eltern verbunden»
Die Kesb handle dabei nach dem Grundsatz Familie zuerst. Die Angehörigen und betroffenen Kinder würden immer angehört. Allerdings sei es so, dass seine Behörde meist erst dann zum Einsatz komme, wenn eine Familie bereits auseinandergefallen sei. Seien Kinder involviert, werde es meistens noch heikler. Allgäuer: «Bei Kindern haben wir in der Regel sehr komplexe Situationen mit Eltern, die überfordert sind, und psychischen Krankheiten. Meistens hat auch das weitere Familiennetz schon Stellung für oder gegen ein Elternteil bezogen.»
Verwandtschaft sagt noch nichts über Nähe aus. Genau diese Nähe ist aber entscheidend dafür, dass eine Person eine Beistandschaft gut führen kann
In solchen Fällen entscheide sich die Kesb dagegen, Familienangehörige als Beistand für betroffene Kinder einzusetzen. Normalerweise komme dann ein Berufsbeistand zum Einsatz.
Kesb will Familien weiter mit einbeziehen
Genau das kritisiert Onken. Kinder bräuchten das vertraute Umfeld, sagt sie. «Das Kind ist auf innige Weise mit seinen Eltern und seiner Familie verbunden. Deshalb ist es absolut unzulässig, wenn man das familiäre Umfeld nicht einbezieht.»
Michael Allgäuer von der Stadtzürcher Kesb kann diese Haltung grundsätzlich verstehen. Allerdings zeige seine Erfahrung, dass Verwandte manchmal einfach nicht als Beistand geeignet seien. «Verwandtschaft sagt noch nichts über Nähe aus. Genau diese Nähe ist aber entscheidend dafür, dass eine Person eine Beistandschaft gut führen kann», sagt er.
Dennoch: Die Kesb wird laut Allgäuer weiter darauf hinarbeiten, dass die Familie bei Kesb-Entscheidungen mit einbezogen wird und dass die Behörde zurückhaltend agiert.