Die Kinder drängeln alle gleichzeitig zur Tür herein. Das Schulzimmer, das früher als Büro diente, wirkt etwas improvisiert, der Platz ist knapp. Die allermeisten der 20 Oberstufenschüler sind Knaben, denn es sind vor allem männliche Minderjährige, die allein in die Schweiz flüchten.
Vor der Klasse steht Gynna Zuberbühler. Die junge Lehrerin mit den kurzen blonden Haaren strahlt die Kinder an und sagt auf Deutsch: «Heute lernen wir besondere Wörter - Winterwörter.» Die Kinder hören aufmerksam zu, wirken unbeschwert, die gute Laune der Lehrerin scheint sie anzustecken. Es täuscht darüber hinweg, dass viele der Kinder und Jugendlichen Schlimmes erlebt haben.
«Ein Grossteil der Schüler ist traumatisiert, einige sind depressiv, andere agieren anfangs aggressiv oder sind traurig. Das bricht dann alles aus ihnen hervor», erzählt Gynna Zuberbühler. Bis zu einem gewissen Grad könne sie das im Unterricht besprechen. Aber immer wieder bräuchten Kinder auch psychologische Hilfe.
Oberstes Ziel sind gute Deutschkenntnisse
Seit bald zwei Jahren testet der Bund in Altstetten das beschleunigte Asylverfahren. Die Schule ist Teil des Asylzentrums. Die Asylsuchenden sollen längstens 140 Tage bleiben und in dieser Zeit möglichst erfahren, ob sie in der Schweiz bleiben können oder das Land verlassen müssen. Solche Zentren sollen in absehbarer Zeit im ganzen Land in Betrieb sein.
Der Bund hat im Testzentrum bewusst auf eine interne Schule gesetzt, auch um den normalen Schulkassen im Quartier ein Kommen und Gehen zu ersparen. Man rechnete mit 24 Kindern in zwei Klassen, jetzt sind es fast 70 verteilt auf 4 Klassen - Kindergarten, Primar- und Sekundarstufe.
Es sei besser für die Kinder, unter ihresgleichen zu sein, ist Martin Reichlin vom Staatssekretariat für Migration überzeugt. «Es geht darum, ihnen einen Einstieg in die Schweiz zu ermöglichen, mit der Perspektive, dass ein Teil der Kinder länger oder für den Rest des Lebens hier bleibt.» Das Ziel sei, den Jugendlichen die Grundlagen unserer Sprache zu vermitteln, damit sie so rasch als möglich hier ankommen könnten.
Es geht darum, ihnen einen Einstieg in die Schweiz zu ermöglichen.
Nebst dem Deutschunterricht werden die Kinder aber wie in einer normalen Schule unterrichtet. Dazu gehören Fächer wie Mathematik, Heimatkunde oder Zeichnen. «Sie sind sehr motiviert und machen wahnsinnig gut mit», erzählt Gynna Zuberbühler, die Lehrerin. «Ich habe keine Disziplinprobleme im Unterricht. Die Kinder sind dankbar, dass sie etwas lernen dürfen.»
Ein Schüler ist aus Afghanistan vor den Taliban geflohen. Seit zwei Monaten ist er hier. In verständlichem Deutsch sagt er: «Ich bin 16 Jahre alt. Ich wohne in Zürich Altstetten.» Hier sei es wie in einem Traum: Dass er hier zur Schule gehen könne, so schnell, das habe er nicht erwartet
Wenn der Sitznachbar gehen muss
Längst nicht alle der Jugendlichen und Kinder können aber in der Schweiz bleiben. Macht man ihnen mit diesem Unterricht nicht falsche Hoffnungen? «Für die Kinder ist es in erster Linie wichtig, dass es nach den kritischen Umständen in ihrem Heimatland und der schwierigen Reise in die Schweiz hier ein Stück Normalität gibt», sagt Martin Reichlin vom Bund.
Wenn dann ein Kind erfahre, dass es die Schweiz verlassen müsse, werde das oft auch im Klassenzimmer zum Thema, erklärt Gynna Zuberbühler. Denn das belaste die Kinder zum Teil so sehr, dass sie dem Unterricht nicht mehr folgen könnten.
So auch der junge Afghane. Er habe kaum geschlafen vergangene Nacht, erzählt er, denn noch am selben Tag erfahre er, ob er in der Schweiz bleiben dürfe. Er geht zurück in die Klasse, um Wörter zu lernen für den Winter in der Schweiz, obwohl er den vielleicht nicht hier verbringen kann.