Martin Schläpfer wandelt während der Session oft durchs Bundeshaus, denn er vertritt die Interessen der Migros – und zwar unter anderem so: «Ich habe sicher schon Vorstösse mitinitiiert oder mitformuliert.» Schläpfer findet es normal, dass Lobbyisten Anliegen ihrer Arbeitgeber fürs Parlament «mitformulierten», das gehöre zum politischen Geschäft. Denn Politiker könnten nun einmal nicht jedes Detail einer komplexen Materie kennen.
Noch nie habe er allerdings Parlamentarier dafür bezahlt, dass sie ein Anliegen der Migros verträten. Das ginge nicht, findet er. Was auch nicht gehe: Dass gewisse Lobbyisten grossen Druck auf Parlamentarier ausübten: «Wenn du nicht mit unserer Lobby stimmst, sorge ich dafür, dass du von unseren Kreisen nicht mehr gewählt wirst.»
Ruppig, aber Quelle der Inspiration
Dass der Druck auf Parlamentarier zunimmt und immer mehr Lobbyisten ihre Interessen in den Räten mit ruppigen Methoden durchsetzen wollen, bestätigen viele Parlamentarier.
Zum Beispiel Nationalrat Thomas Hurter (SVP/ZH): «Selbstverständlich gab es schon Personen, die mich gefragt haben, ob ich zu einem Thema etwas einreichen würde.» Hurter betont, er reiche nie Forderungen ein, die er nicht selbst verfasst habe.
Dem schliesst sich Nationalrat Andy Tschümperlin (SP/SZ) an. Allerdings, sagt der Fraktionspräsident, lade die SP auch selber zu Sitzungen ein, an denen Vorstösse diskutiert würden: «Zum Beispiel laden wir den Schweizerischen Gewerkschaftsbund an eine Fraktionssitzung ein und diskutieren eine politische Frage offen in einer Fraktion oder in einer Arbeitsgruppe.»
«Ich verstehe nicht immer restlos, was ich unterschreibe»
Alle befragten Parlamentarier räumen ein, dass sie sich von Lobbyisten inspirieren und beraten lassen. Und das immer häufiger, denn Bevölkerung und Medien schrien regelrecht nach Vorstössen. Immer wenn etwas passiere, komme gleich die Forderung nach einem neuen Gesetz.
Und diesem Druck erliegt so mancher Parlamentarier auf die eine oder andere Art – auch wenn er sich nicht gleich Vorstösse vorschreiben lässt. Tschümperlin zum Beispiel sagt, er habe schon Forderungen unterschrieben, die er nicht restlos verstehe: «Ich kann nicht sagen, dass ich bei jedem unterzeichneten Vorstoss zu 100 Prozent weiss, welche Auswirkungen er hat.»
Dass National- und Ständeräte pfannenfertige Vorstösse von Lobbyisten einreichen und Forderungen unterschreiben, die sie nicht restlos verstehen, bedauern viele Parlamentarier. SVP-Nationalrat Hurter findet deshalb: «Man müsste ein Art Verfallzeit für Vorstösse erfinden.» Denn sonst gebe es immer mehr Vorstösse, auch immer mehr sinnlose. Die Folge: Das Parlament sei noch stärker überlastet, könne sich noch weniger mit Details befassen – und sei noch abhängiger von Lobbyisten.