Vor einem Jahr, am 24. Februar 2022, hat der russische Überfall auf die Ukraine begonnen: eine vom russischen Präsidenten Wladimir Putin befohlene Invasion, die den seit 2014 schwelenden Russisch-Ukrainischen Krieg eskalieren liess.
Chat-Protokoll
Guten Tag. Für mich liegt der Schlüssel zum Verhandlungssaal in China. Bisher unterstützt China Russland mit Computer-Chips und kauft massenhaft Oel usw. Aber sie haben offenbar auch klar gemacht, dass sie keinen ABC-Krieg wollen. Haben Sie eine Idee, wie sich China einsetzen könnte für ein Ende der Aggression, oder passt es China zu gut, dass der Westen gerade ziemlich beschäftigt ist und viel Geld ausgibt?
Sebastian Ramspeck: Ich glaube, China wollte diesen Krieg nicht, er kommt China nicht gelegen, denn China hat andere Probleme, andere Ambitionen. Ausserdem betont China ja eigentlich immer, dass die Souveränität von Staaten zu respektieren sei. Aber ich glaube auch, dass China jetzt nicht unbedingt Interesse an einem Ende des Kriegs hat – Chinas Hauptfeind sind die USA und für die USA ist der Krieg mit hohen Kosten, Risiken verbunden. China schaut zu und hofft, am Ende politisch zu profitieren.
Warum gibt es nur die Lösung der Kriegsführung statt Friedensgespräche? Warum hat die schweizer Politik die absolute Neutralität ohne wenn und aber verloren? Geht es doch mehr um Geld und Profit zu Lasten von Menschen und Leichen?
Sebastian Ramspeck: Selenski hatte mal einen Friedensplan vorgestellt, aber Putin wollte den nicht. Putin seinerseits hat nie konkret und öffentlich einen Plan vorgestellt. In der Rede vorgestern sagte er, er wolle den Krieg weiterführen.
Lässt sich abschätzen, wie sich die Rolle der USA im Krieg nach den Midterms vergangenen Herbst verändert, bzw wie sich ein allfälliger Wahlsieg der Republikaner 2024 auswirken würde? Wie wird die Schweiz und ihre Ukrainepolitik in Russland wahrgenommen?
Sebastian Ramspeck: Zu den USA: Vereinfacht gesagt: Demokraten wollen Militärhilfe für die Ukraine, Republikaner sind in der Frage gespalten, aber sicher skeptischer als Demokraten. Ganz wichtig für den Krieg bzw. für die Ukraine werden die Präsidentschaftswahlen 2024. Zu Russland: Die Regierung betrachtet die Schweiz nicht als neutral, weil sie die Anti-Russland-Sanktionen der EU übernommen hat.
Es gibt sicher auch Widerstände und Ablehnung gegen das Tun und den Krieg der Regierungs-und Militärgewalt in RU. Was ist darüber in der russischen Bevölkerung zu erfahren?
Luzia Tschirky: Es gab erst gerade kürzlich den Fall eines jungen Russen, der Suizid begangen hat, um nicht gegen die Ukraine in den Krieg ziehen zu müssen. Doch eine grosse, organisierte Protestbewegung innerhalb des Landes gegen den Angriffskrieg gibt es nicht.
Guten Tag, meine Schwägerin, Ihr Mann und ihre 4 Kinder sind als eine der ersten Flüchtlinge am 2. März 2022 in der Schweiz angekommen. Sie kommen aus Chernivtsi in der West Ukraine. Seit geraumer Zeit lese ich der öftern von gewissen Politikern hier in der Schweiz. Dass Ukrainische Flüchtlinge auch langsam wieder zurück in die Ukraine gehen könnten. In grossen Teilen und vor allem in der West Ukraine hersche ja kein Krieg. Ihr Einschätzungen zu solchen Aussagen würde mich sehr wundern. P.S: @ Frau Tschirky zu Ihrem DOK von gestern Abend im TV. Sehr Eindrücklich und sehr, sehr schmerzhaft!! Sollten sich alle Leute anschauen, die eine Rückkehr der Flüchtlinge fordern.
Luzia Tschirky: Aufgrund der anhaltenden Raketenangriffen seitens der russischen Armee gibt es seit dem 24. Februar 2022 keinen Ort in der Ukraine an dem die Menschen wirklich sicher sind. Im Osten des Landes ist die Bedrohungslage ohne Zweifel noch deutlich grösser, doch auch ein Leben im Westen des Landes ist nicht ohne Risiko.
Weshalb haben sich Europa und Amerika nicht mit allen mitteln für die einhaltung der minsker abkommen eingesetzt. Die Ukraine hat ja offensichtlich kein interesse an der umsetzung gehabt, so sehe ich das. Denn mit der einhaltung der Minsker abkommen, wäre es nie zum krieg gekommen.
Luzia Tschirky: Russland hat die Minsker Abkommen mit Beginn des Angriffskrieges obsolet gemacht.
Warum spricht man immer von «Angriffskrieg»? Kriege haben doch in der Regel mit einem Angriff begonnen. Und Krieg ist meist das Resultat einer gescheiterten bilateralen Diplomatie. Also wenn Brüder sich schlagen wollen, braucht es Menschen guten Willens, diese auseinander zu nehmen.
Sebastian Ramspeck: Ich denke, der Begriff soll ausdrücken: Ein souveräner Staat hat plötzlich und ohne Warnung einen anderen souveränen Staat militärisch massiv angegriffen.
Betreffend das unten erwähnte Budapest Memorandum 1994. Herr Ramspecks' Antwort ist leider unvollständig: Die USA haben sich hier ebenfalls verpflichtet, auf die Ukraine «keinen wirtschaftlichen Zwang auszuüben der darauf zielt, sich Vorteile zu sichern, indem die Ausübung der souveränen Rechte der Ukraine den eigenen Interessen untergeordnet wird.» Dies wurde durch den 5Mia USD finanzierten 2014 Maidan Coup und später die durch VP Biden veranlasste Entlassung von Generalstaatsanwalt Viktor Shokin gebrochen.
Sebastian Ramspeck: Die USA haben in der Ukraine Einfluss genommen, ja – Russland aber noch viel mehr (über die Geheimdienste usw.) und schon viel früher als 2014. Ich kenne persönlich Ukrainer, die 2014 auf dem Maidan dabei waren: Sie protestierten gegen ihre Regierung, sie waren nicht von den USA «finanziert». Und: Selbst wenn sich ein Land nicht an ein Abkommen hält, ist das völkerrechtlich nie ein Grund, einen Krieg zu starten.
Guten Tag. Hat die Ukraine, anlässlich der Verselbständigung von Russland 1990, irgendwelche Zugeständnisse d.h. dass sie etwas nicht machen darf und es dennoch gemacht, die auch zu den heutigen «Problemen» geführt haben? Vielen Dank für eine kurze Rückmeldung.
Sebastian Ramspeck: Nein, im Gegenteil. 1994 bekam Russland die ukrainischen Atomwaffen und versprach dafür, dass die Ukraine selbständig ist, dass Krim, Donbas usw. definitiv zur Ukraine gehören. Das war der Deal. Russland hat diesen Deal gebrochen.
Wieso sind die SRF Journis (oder Korrespondent:innen) nie vor Ort im Donbass am recherchieren?
Luzia Tschirky: Bei den Reisen in die Ukraine wird die Sicherheit der Korrespondentinnen und Korrespondenten sowie der lokalen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter immer einbezogen.
Guten Tag, Nichts rechtfertigt diesen grässlichen Krieg seitens Russlands. Nichtsdestotrotz welche Fehler hat der Westen getan eurer Meinung nach?
Sebastian Ramspeck: 2008 hat der Westen der Ukraine vage irgendwann den Nato-Beitritt versprochen – doch Mitglied ist sie bis heute nicht. Vielleicht hätte man sie rasch aufnehmen müssen, dann hätte Putin keinen Angriff gewagt...? Andere finden, man hätte der Ukraine das nie versprechen dürfen, um Putin nicht zu provozieren... Aber hätte er deswegen die Ukraine wirklich nicht angegriffen...? Da bin ich mir nicht so sicher... Niemand weiss, was passiert wäre, wenn...
Wie spreche ich mit jemandem, der an russische Propaganda glaubt? Meine Mutter ist Russin, lebt aber schon seit fast 30 Jahren in der Schweiz. Bis kurz vor dem Angriffskrieg habe ich sie immer für politisch liberal gehalten. Seither hat sie aber russisch-nationalistische, anti-feministische, homophobe, antisemitische, usw. Ansichten entwickelt. Sie weigert sich, den Krieg, Krieg zu nennen, und hält Putin für einen sehr guten Präsidenten. Alle Angriffe gegen die Zivilbevölkerung, von denen hier berichtet wird, hält sie für fake. Ich weiss nicht, wie ich damit umgehen soll. Ich merke immer mehr, dass mir der Kontakt mit ihr psychisch nicht gut tut, aber abbrechen möchte ich ihn auf keinen Fall. Mit ihr ist es übrigens nicht möglich, dieses Thema zu vermeiden, da sie selbst immer darauf zu sprechen kommt, auch wenn ich ihr explizit sage, dass ich nicht darüber sprechen möchte. Was kann ich in dieser Situation tun?
Luzia Tschirky: Sehr vielen jüngeren Menschen aus Russland machen ähnliche Erfahrungen wie sie. Ich persönlich kenne Leute, die seit Kriegsbeginn den Kontakt zu den eigenen Eltern abgebrochen haben, da die Meinungen zu stark auseinandergehen bezüglich des Angriffskrieges. Ich empfehle Ihnen zu diesem Thema den Dokumentarfilm von Andrei Loschak anzusehen und hoffe, Sie finden beim Anschauen die eine oder andere Antwort: https://www.youtube.com/watch?v=5qmQs2LbnaE
Mit der Neutralitätshaltung der Schweiz wird aktuell verhindert, dass die Ukraine Schweizer Waffen und Munition erhält. Unterstützt dadurch die Schweiz nicht passiv den russischen Aggressor?
Sebastian Ramspeck: Die Ukraine hätte natürlich gerne Waffen aus der Schweiz, um die russischen Truppen auf dem eigenen Territorium noch stärker zu bekämpfen. Dass neutrale Staaten wie die Schweiz selber keine Waffen liefern, wird von der Ukraine und fast allen anderen Ländern akzeptiert. Umstritten ist, ob ursprünglich aus der Schweiz stammende Waffen zum Beispiel von Deutschland weitergegeben werden dürfen. Die Schweiz müsste dafür ihre Gesetze ändern. Ob sie das soll oder nicht, entscheiden das Parlament, das Stimmvolk. Was ist denn Ihre Meinung?
Hat der russische Normalverdiener heute eine geringe Kaufkraft als vor dem Krieg oder vor 10 Jahren? Wie stark trifft die Rubelabwertung den Normalbürger ? Kommt das menschlliche Leid in Russland verursacht durch die Kriegsopfer verbal zum Ausdruck, oder wird es aus Angst vor Repressionen unterdrückt?
Luzia Tschirky: Die Durchschnittsbevölkerung in Russland spürt den Angriffskrieg durchaus. So habe sich viele internationale Unternehmen, wie grosse Möbelhäuser oder Automobilhersteller nach Beginn des russischen Angriffskrieges aus dem Markt zurückgezogen. Dies hat für gewisse Regionen auch auf den Arbeitsmarkt grosse Auswirkungen gehabt. Das menschliche Leid in der Ukraine wird meinem Eindruck nach von einer grossen Mehrheit der Menschen in Russland möglichst ignoriert.
Ich vermute, dass Abertausende UkrainerInnen schwerst traumatisiert sind. Was können wir Schweizer tun, und was tut der ukrainische Staat, um nach einem hoffentlich baldigen Frieden diesen Traumatisierten zu helfen?
Luzia Tschirky: Dies ist in der Tat eines der grössten Probleme für die Menschen in der Ukraine. Ich selbst habe mit dutzenden schwerst traumatisierten Menschen gesprochen, die seit Monaten keine professionelle psychologische Betreuung erhalten haben. Sollten Schweizer Fachspezialistinnen und Spezialisten den Menschen in der Ukraine Hilfe anbieten wollen, wäre diese Hilfe in der Ukraine auf alle Fälle sehr willkommen.
Die russische Armee schreckt offensichtlich nicht davor zurück, mit Raketen, Drohnen und Flugzeugen zivile Ziele anzugreifen. Mit dem offenkundigen Ziel, das ukrainische Volk zu zermürben und die Regierung zum Aufgeben zu zwingen. Dennoch frage ich mich, was die russische Führung bzw. Militärführung (zum Glück!) davon abhält, ukrainische Städte grossflächig zu bombardieren. So, wie es die Westalliierten im 2. Weltkrieg mit deutschen Städten getan haben. Hält sich Russland hier tatsächlich an das Kriegsvölkerrecht, sind die politischen Risiken (noch) zu hoch oder fehlen schlicht die militärischen Mittel?
Sebastian Ramspeck: Ich denke, dass Russland bisher sehr zurückhaltend mit dem Einsatz von Flugzeugen war, weil auch Russland nur über eine beschränkte Zahl verfügt und der Verlust eines Flugzeugs schon rein finanziell schwerer wiegt als der Verlust eines Panzers – sowieso auch psychologisch, von der Wirkung her. Nicht vergessen: Die ukrainische Flugabwehr scheint einigermassen gut zu funktionieren. Aber die USA warnen, dass russische Flächenbombardements eine nächste Stufe im Krieg sein könnten. «Ihr» Szenario ist also leider denkbar...
Die Unterstützung der Ukraine hängt im Wesentlichen von der Besetzung der amerikanischen Administration ab. Sagen wir, der Krieg zieht sich noch Jahre hin und Bidens Gegenspieler kommt an die Macht, wird sich unweigerlich Vieles im Bezug auf die Ukraine ändern. Ich gehe davon aus, dass die ukrainische Regierung sich dessen bewusst ist. Ist das der Bevölkerung auch klar? Fürchtet man sich unter Umständen auch davor?
Luzia Tschirky: In der Ukraine ist man sich der Abhängigkeit von westlichen Waffenlieferungen durchaus bewusst. Gegenwärtig würde ich die Furcht innerhalb der Bevölkerung vor einem Stopp der Waffenlieferungen als sehr gering einschätzen.
Guten Tag, Denken sie das der Krieg mit mehr Waffen vom Westen schneller zu Ende ist und daraus es auch weniger Tote gibt und weniger Leid für die Bevölkerung?
Sebastian Ramspeck: Hätte die Ukraine mehr Waffen, könnte sie die russischen Truppen wirksamer bekämpfen, das ist klar. Vielleicht gelänge dann in wenigen Monaten ein militärischer Sieg. Aber wie Putin in einem solchen Szenario reagieren würde, weiss letztlich niemand. Leider ist es schwer, Ihre – gute! – Frage zu beantworten...
Hallo Ihr Beiden meine Frage, ich hätte tausend, was passiert mit dem Angreifer nach dem Krieg ? bedanke mich im Voraus und alles Gute für Sie Beide .....
Luzia Tschirky: Auf ukrainischer Seite gibt es seit mehreren Monaten die Forderung eines Kriegstribunals, vor welches alle Personen gestellt werden sollen, die sich im Verlauf des Angriffskrieges mögliche Kriegsverbrechen zu Schulden haben kommen lassen.
Wie sinnvoll / effizient sind Waffenlieferungen an die Ukraine oder Sanktionen gegen Russland? Wieso versucht es die EU/USA nicht mit Friedensverhandlungen, bevor die Situation eskaliert? Denken Sie es ist möglich, dass die Nato Moskau bombardiert wie schon Belgrad in den 90er Jahren bombardiert wurde?
Luzia Tschirky: Ohne Waffenlieferungen aus dem Westen hätte die Ukraine in den vergangenen Monaten sich nicht gegen die russische Armee verteidigen können. Die seit 2014 bestehenden Minsker Abkommen für eine Lösung des Konflikts wurden von Russland durch den Grossangriff in den Wind geschlagen. Es fehlt dementsprechend an Vertrauensbasis auf ukrainischer Seite um mit Russland ernsthafte Verhandlungen zu führen. Ich halte es für unwahrscheinlich, dass die Nato Moskau bombardieren könnte. Das Luftabwehrsystem der russischen Hauptstadt gehört gemäss verfügbaren Informationen zu den engmaschigsten Luftabwehrsystemen weltweit.
Guten Tag Frau Tschirky und Herr Ramspeck Ist es denkbar, dass Russland nach einem Sieg in der Ukraine, was hoffentlich nicht passiert, sich Belarus einverleibt oder gar ein Natomitliedstaat im Osten angreift? Ich mache mir Sorgen, dass dieser Abnutzungkrieg eben auch die Mittel der NATO schwächt. Das dies auch ein momentanes Ziel Putins sein könnte. Herzlichen Dank für die Beantwortung
Sebastian Ramspeck: Die Hürde, einen Nato-Staat wie Estland, Lettland oder Litauen anzugreifen, ist viel höher als zurzeit in der Ukraine, weil die Nato ohne Wenn und Aber versprochen hat, jeden Mitgliedstaat militärisch zu verteidigen. Und die Nato insgesamt ist militärisch viel, viel stärker als Russland. Der Ukraine-Krieg ist für die Nato aber eine grosse Herausforderung (Produktion von Waffen, Munition), weil sie sich nicht darauf eingestellt hat, jemals einen Drittstaat so massiv militärisch zu unterstützen.
Hat das Land noch vereint den Willen für den Krieg, sprich gegen Putin oder gibt es nach einem Jahr auch Leute, dennen all das Leid zu viel wird und der Preis für den Krieg zu hoch ist?
Luzia Tschirky: Bei sehr vielen Menschen in der Ukraine haben die vergangen 12 Monate Spuren hinterlassen. Doch es ist für die Menschen keine Option aufzugeben, denn bei einer Kapitulation wäre das Leben der Menschen in der Ukraine weiterhin in Gefahr.
Guten Tag Irgendwie hoffe ich immer mehr, dass sich im Kremel etwas tut gegen Putin. Dass er entweder auch so plötzlich verstirbt wie andere, meist Oligarchen oder dass er abgesetzt wird. Gibt es dazu irgendwelche Anzeichen? Der Druck wird ja auch für ihn immer grösser, Propaganda hin oder her. Besten Dank! PS: Liebe Frau Tschirky Herzlichen Glückwunsch zur Schwangerschaft!
Luzia Tschirky: Gegenwärtig gibt es keine Anzeichen dafür, dass Wladimir Putin durch interne Machtkämpfe in Russland abgesetzt werden könnte. Vielen Dank für die Glückwünsche. :)
Welche Währungen werden in der Ukraine für den täglichen Bedarf in den Läden akzeptiert?
Luzia Tschirky: Die ukrainische Währung Hrywnja.
Grüezi Zum Jahrestages des Ukrainekrieges frage ich mich, ob wir einfach abwarten müssen. Offenbar imponieren die getroffenen Sanktionen wenig. Wäre eventuell folgender Vorstoss in Erwägung zu ziehen ? Die westliche Allianz offeriert den Abbruch aller Sanktionen und bietet einen runden Tisch, um sämtliche wirtschaftlichen Verträge neu zu verhandeln. Falls Putin diesen Vorschlag begrüssen würde, wäre die Frage, was er im Gegenzug dafür anbieten würde. Wäre gespannt auf seine Reaktion.
Sebastian Ramspeck: Ich glaube nicht, dass es Putin in erster Linie um die Sanktionen, um die Wirtschaft geht. Es geht ihm um die Grösse Russlands, um die Zerstörung der Ukraine in ihrer bisherigen Form, um Sicherheitspolitik. Ich würde daher sehr viel Geld wetten, dass er als Dankeschön für ein Ende der Sanktionen keinen Rückzug seiner Truppen anbieten würde.
Welcher Anteil des Ukrainischen Staatsgebietes ist unter russischer Kontrolle?
Luzia Tschirky: Zur Zeit kontrolliert Russland rund 17 Prozent des ukrainischen Staatsgebietes. Dies entspricht etwas zweimal der Grösse Italiens.
Sehr geehrte Damen und Herren. Ist es überhaupt abschätzbar was passiert wäre, wenn Europa und der Westen keine Munition und Waffen geliefert hätte? Hätte der russische Grössenwahn viele angrenzende Länder zu Europa in Angst und Schrecken versetzt? Wäre das Ausmass in Folge noch grösser und viel schlimmer geworden? Ich danke für ihre Abschätzung.
Sebastian Ramspeck: Meiner Einschätzung nach hätte Russland sicher in kürzester Zeit die Ukraine besetzt, Selenski entfernt und die Ukraine möglicherweise ins russische Staatsgebiet integriert. Und das Signal für Putin wäre klar gewesen: Es ist ganz einfach, ein anderes Land zu überfallen und einzunehmen. Wir erinnern uns: Putin nannte den Untergang der Sowjetunion «die grösste Katastrophe des 20. Jahrhunderts» = schlimmer als der Zweite Weltkrieg, der Holocaust usw. Es ist also sehr verständlich, dass andere Ex-Sowjet-Länder wie Estland, Lettland oder Litauen Angst vor einem Angriff Russlands haben.
Was denken Sie ist der Zeithorizont auf den wir uns hinsichtlich des Krieges einstellen müssen? Und was ist Ihre Einschätzung was am Ende die neue Realität sein wird?
Luzia Tschirky: Die ukrainische Gesellschaft wird noch Jahre mit den Folgen dieses Krieges zu kämpfen haben. Denn in der Zwischenzeit gehören gewisse Gebiete des Landes zu den am stärkst verminten Regionen der Welt. Bis diese Gebiete entmint und wieder bewohnbar werden, wird es auch nach Ende der Kampfhandlungen noch Jahre dauern. Hinzu kommen die langfristigen psychischen Folgen für die schwer traumatisierten Menschen in der Ukraine. Dazu zählen sowohl Soldatinnen und Soldaten an der Front, wie auch Zivilistinnen und Zivilisten, die etwa unter russischer Besatzung leben mussten.
Wie beurteilen Sie den am 9 Februar 2023 veröffentlichten Bericht, des mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Investigativ Journalisten Seymour Hersh, betreffend der Sprengung der Nordstream Pipelines, und wie erklären Sie sich, dass darüber in grösseren Medien kaum berichtet wird?
Sebastian Ramspeck: Der Bericht bezieht sich auf eine anonyme Quelle und ich kann daher nicht beurteilen, ob die Information zutrifft oder nicht. Könnte sein, könnte aber sehr gut auch nicht sein. Jeder Bericht dieser Art sollte man sehr vorsichtig beurteilen. Ich habe mich nie an Spekulationen über Nord Stream II beteiligt, das wäre meines Erachtens nicht seriös.
Wenn man etwas positives aus diesem Krieg ziehen kann, stelle ich fest, dass die Ukraine als Nation mehr und mehr zu einer Einheit wird. Dies war ja in der Vergangenheit nicht immer so und der Osten und der Westen der Ukraine waren wie eine Art Parallel-Welten. Können Sie einige Anektoten erzählen, wie diese wachsende Einheit als Nation Ukraine ersichtlich ist im Autausch mit den Menschen vor Ort.
Luzia Tschirky: In der Tat hat der Krieg grosse Teile der Bevölkerung in der Ukraine einander näher gebracht. So habe ich persönlich beispielsweise erlebt, dass sehr viele Menschen mit Muttersprache Russisch begonnen haben ausschliesslich Ukrainisch zu sprechen.
Russland hat soviele Probleme und wenig Freunde auf der Welt. Das grösste Problem ist Putin. Warum passiert da überhaupt nichts in der russischen Gesellschaft? Sind die alle eingeschlafen?
Luzia Tschirky: Aus Schweizer Perspektive mag die Reaktion der russischen Bevölkerung in der Tat schwer verständlich sein. Eine grosse Mehrheit der Menschen in Russland fühlt sich nicht in der Lage politisch im Land etwas verändern zu können. Demokratische Wahlen, wie wir sie hier in der Schweiz kennen, gibt es seit Jahren nicht mehr in Russland. Die Möglichkeiten die eigene Meinung zu äussern und zu demonstrieren wurden seit 2012 massiv eingeschränkt. Jede Person, die in Russland dennoch wagt sich öffentlich gegen den Angriffskrieg zu äussern, muss mit einer Haftstrafe rechnen.
Es muss ja eine immense psychische Belastung sein, in ständiger Gefahr zu leben und all das Leid zu sehen. Haben sie manchmal Alpträume? Gelingt es ihnen überhaupt und wenn ja wie gelingt es ihnen psychisch gesund zu bleiben?
Luzia Tschirky: Im Unterschied zu den Menschen in der Ukraine habe ich das grosse Privileg immer wieder aus der Ukraine ausreisen zu können. Ich habe im vergangenen Jahr versucht meine Reisen vor Ort jeweils auf zwei bis drei Wochen am Stück zu beschränken und danach wieder für ein paar Tage auszureisen um Abstand gewinnen zu können zum Erlebten.
Was finden Sie, was bringen Einschätzungen von Experten? Haben die westlichen Medien einen Einfluss auf die russische Kriegsführung? Ein Beispiel: Wenn viele grosse westliche Medien und Thinktanks vor 3 Wochen sagen, es werde am 24.02.23 eine erneute Grossoffensive geben, inwiefern beeindruckt / beeinflusst das die russische Kriegsführung? Auch auf atomare Gefahren gesehen, etc.? Finden Sie die westlichen Medien berichten zu viel über den Kriegsverlauf / über die Zukunft des Krieges? Was ist nach einem Jahr Krieg auf die ganze Ukraine die Aufgabe der europäischen Medien gegenüber Europa / Aufgabe der Schweizer Medien gegenüber dem Volk der Schweiz?
Sebastian Ramspeck: Sicher beobachten beide Kriegsparteien sehr genau, was Experten, Politikerinnen, Journalisten usw. usf. auf der Gegenseite über den Krieg sagen und was nicht. Informationskrieg ist Teil jedes Kriegs. / Meiner Einschätzung nach geht es Russland mit den Erwähnungen der atomaren Gefahr vor allem darum, die Diskussion darüber am Laufen zu halten. Damit Menschen im Westen Angst haben und sich gegen die Lieferung von Waffen aussprechen. / Ich finde nicht, dass die Medien «zu viel» über den Krieg berichten – aber sicher gibt es andere Krieg, über die «zu wenig» berichtet wird. / Die erste Aufgabe von Journalismus sehe ich im Vermitteln von Fakten, Zusammenhängen, verschiedenen Argumenten.
Warum gibt Selenski nicht auf? Es lohnt sich doch nicht als Ukraine gegen die zweitstärkste Armee der Welt zu kämpfen und unentbehrlichen Widerstand zu leisten? Wäre es nicht besser für das Volk, Armee der Ukraine und die Wirtschaft des Landes einfach aufzugeben, oder liege ich falsch? Das war einfach mein Gedankengang während der ganzen Sache, aber ich bin kein Experte.
Luzia Tschirky: Aufzugeben ist für die Menschen in der Ukraine keine Option. Die Lebensumstände in den von Russland besetzten Gebieten der Ukraine zeigen deutlich, dass die Menschen unter russischer Besatzung nicht etwa in Sicherheit sind, sondern ihr Leben in grösserer Gefahr ist, als in Gebieten unter Kontrolle der ukrainischen Armee.
Liebe Frau Tschirky, der Krieg hat begonnen, wo waren Sie zu diesem Zeitpunkt und wie hat es sich für Sie angefühlt als Sie die Nachricht bekamen?
Luzia Tschirky: Ich war zu Beginn des russischen Angriffskrieges in Kiew in meinem Hotel und für mich war klar, dass ich die Hauptstadt besser verlassen sollte. So bin ich wenige Stunden nach Ankündigung von Wladimir Putin zusammen mit meinem Kameramann aus der Stadt gefahren.
Hat die Ukraine mittel-/langfristig eine realistische Chance ihren Freiheitskampf zu gewinnen oder wird Putin schlichtwegs den längeren Atem haben?
Sebastian Ramspeck: Was genau meinen Sie mit «gewinnen»? Dass die Ukraine das ganze Territorium inkl. Krim zurückerobern kann, erscheint in nächster Zeit unwahrscheinlich; ich gehe von einem sehr langen Abnützungskrieg aus. Und Sie haben recht: Am Schluss geht's darum, wer den längeren Atem hat.
Wie wahrscheinlich halten Sie einen Angriff Russlands auf ein Nato-Land (z.B. Baltikum)? Oder wir sich ein Angriff eher auf ein nicht-Nato-Land konzentrieren? Wie schätzen Sie generell die Wahrscheinlichkeit einer Ausweitung des Kriegs ein?
Luzia Tschirky: Zum aktuellen Zeitpunkt halte ich eine Ausweitung des Krieges auf weitere Staaten nicht für wahrscheinlich. Zu gross waren die Rückschläge für die russische Armee in den vergangenen Monaten an verschiedenen Fronten in der Ukraine.
Die Ukrainische Regierung hat mehrmals klar kommuniziert, dass es keinen Frieden geben wird, solange sich russische Truppen auf Ukrainischem Territorium befinden. Dies giltet auch für die von Russland eroberten Gebiete. Somit ist ein möglicher Frieden in weiter Ferne. Wie sieht dies aber die Zivilbevölkerung und die kämpfende Truppe, die sie kennen gelernt haben? Stehen diese hinter der Aussage der Regierung?
Luzia Tschirky: Mit Beginn des russischen Angriffskrieges haben sich die Meinungen in der ukrainischen Zivilbevölkerung stark verändert. Eine grosse Mehrheit der Menschen steht hinter diesen Aussagen der ukrainischen Regierung. Denn mit dem Angriffskrieg von Russland wurde den Menschen deutlich gezeigt, dass eine Kompromisslösung mit Russland, wie sie im Jahr 2014 mit dem Abkommen von Minsk gefunden wurde, keine Garantie für eine langfristige Deeskalation ist.
Guten Tag, die aktuelle Lage scheint sich immer mehr zuzuspitzen. Verstärkte Unterstützung des Westens vs. laute Überlegungen zum atomaren Waffeneinsatz seitens Russland. Wo führt das hin? Welches Szenario halten Sie für am wahrscheinlichsten? Wo stehen wir in einem Jahr? Vielen Dank.
Sebastian Ramspeck: Ich halte im Moment folgendes Szenario für das wahrscheinlichste: kein rascher militärischer Sieg von Russland und auch nicht der Ukraine, keine Veränderung der politischen Absichten, kein Friedensschluss, aber auch kein Atomkrieg usw. = ein Krieg, der leider noch sehr lange in der heutigen Form dauern wird, noch Jahre. Entscheidend wird sein, wer, salopp gesagt, den «längeren Atem» hat.
Zwar sind Sie zwei mMn die falschen Personen. Aber nun eben trotzdem: mir fehlen zwischendurch selbstkritische Gedanken der Medienschaffenden, der Journaille: wo waren wir zu schnell, wo lagen wir falsch – auch mit Analysen; wo mussten wir unbedingt recht haben. Beim einem grossen Medienhaus (mit T) geht es mir ähnlich, wie bei Corona: da ist Schulterklopfen nach ein/zwei Jahren. Dabei lagen viele zwischendurch falsch. Es scheint mir, es sollte doch möglich sein, auch einmal etwas nüchtern zu reportieren/rapportieren und dann stehen zu lassen. Gerade die BR-PK gestern war ein Beispiel. Einige wollten dringend recht bekommen mit der Waffenlieferung. Aber2: Sie zwei sind das Gegenstück. auch die Ramspeck Analysen zeigen immer auf, was jetzt der Fall ist, kann sogar sein, dass gesagt wird: da ist Umdenken angesagt. In dem Sinn: machen Sie beide weiter so und stecken andere an mit Ihrer Arbeit mit freundlichen Grüssen
Sebastian Ramspeck: Danke! Selbstkritik ist wichtig, auch und vor allem für uns Journalistinnen und Journalisten. Auch, dass man vorsichtig ist mit Analysen, Prognosen, alle Fakten und Argumente zu berücksichtigen versucht. Und: nicht die eigene Meinung, den eigenen Wunsch die Analyse beeinflussen lassen!
Frage an Frau Tschirky: Wie dramatisch ist der aktuelle Munitionsengpass? Welche verlässliche Informationen liegen dazu vor? Wie wahrscheinlich sehen Sie eine erneutige Offensive und Besetzung des Oblast Charkiw, insbesondere Isjum als Kriegsziel Russlands ein?
Luzia Tschirky: Nicht bei allen Kampfeinheiten der ukrainischen Armee ist Munition gleich knapp. Ich habe von Soldaten der ukrainischen Armee, die im Osten des Landes in der Nähe von Bachmut und Soldear gekämpft haben, gehört, dass sie sehr oft zu wenig Munition hatten im Vergleich zur russischen Armee. Bei meinen Reisen nach Charkiw und Isjum hatte ich persönlich nicht den Eindruck, dass eine erneute Besetzung wahrscheinlich ist. Was jedoch nicht bedeutet, dass die Zivilbevölkerung nicht weiter unter dem Beschuss der russischen Armee leiden würde.
Guten Tag, was sagen Sie zum «Manifest für Frieden» von Alice Schwarzer und Sahra Wagenknecht?
Sebastian Ramspeck: Die Hoffnung auf Frieden teile ich natürlich – aber man muss sich bewusst sein, was es bedeuten würde, wenn die Ukraine, wie im Manifest gefordert, keine Waffen aus dem Westen mehr bekäme: Sie müsste höchstwahrscheinlich in kürzester Zeit kapitulieren und Russland würde die Kontrolle über das Land übernehmen.
Inwiefern stehen die beiden Parteien noch in Kontakt betreffend Verhandlungen? Lässt Putin überhaupt zu, dass man sich der Ukraine diplomatisch nähert?
Sebastian Ramspeck: Letztlich wissen wir natürlich nicht, welche geheimen Gespräche noch immer stattfinden. Aber wenn man sich die Rede von Putin von gestern anhört, kann man nicht davon ausgehen, dass er eine diplomatische Annäherung sucht.
Wenn ich etwas kaufe, gehört es mir, ohne wenn und aber. Wenn Deutschland Schweizer Munition kauft, gehört es Deutschland. Warum darf Deutschland nicht damit machen was sie will? Zum Beispiel exportieren?
Sebastian Ramspeck: Weil das entsprechende Schweizer Gesetz (= Kriegsmaterialgesetz) Waffenexporte nur mit einer sogenannten Endverbraucher-Erklärung zulässt. Das heisst: Der Importeuer der Schweizer Waffen, z.B. Deutschland, muss eine solche unterschreiben und darf die Waffen später nur mit Zustimmung der Schweiz weitergeben. Eine Weitergabe an ein Land im Krieg
Wie steht die arabische Welt zum Krieg in der Ukraine? Wie waren und sind die Reaktionen?
Sebastian Ramspeck: Die meisten arabischen Staaten haben Russland für den Angriff zwar offiziell verurteilt (in einer Abstimmung in der Uno im März 2022), aber sie haben keine Sanktionen gegen Russland erlassen. Viele wollen weiter gute Beziehungen zu Russland unterhalten, v.a. wirtschaftlich.
Guten Tag Präsident Selenski gibt sich diese Tage siegessicher. Verschiedene Stimmen, u.a. der US-Generalstabschef Mark Milley, sagen jedoch, dass ein Sieg der Ukraine zumindest in naher Zukunft unwahrscheinlich sei. Ebenfalls liest man von Engpässen an Munition in der Ukraine. Zusätzlich die Rede von Putin und die Sistierung des Abrüstungsvertrages. Wir nun der Einsatz atomarer Waffen wahrscheinlicher? Wie schätzen sie ein mögliches Ende des Krieges ein? Wird die Ukraine eventuell gewisse Landstriche abtreten müssen? Vielen Dank für ihre Meinung,
Luzia Tschirky: Lieber Rolf Steiner, der Einsatz von Atomwaffen lässt sich im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine zu keinem Zeitpunkt vollständig ausschliessen, scheint mir gegenwärtig jedoch nicht sehr realistisch zu sein. Zurzeit zeichnet sich leider noch kein Ende des Krieges ab, auch wenn Wolodimir Selenski sich auf den Standpunkt stellt, ein Sieg der Ukraine sei noch bis Ende dieses Jahres möglich. Ein Abtreten von Landstrichen seitens der Ukraine ist für die ukrainische Bevölkerung keine Option. Russland hat während acht Jahren zuvor bereits Gebiete in der Ukraine kontrolliert und dennoch einen Angriffskrieg gestartet. Eine Kompromisslösung wie die Minsker Abkommen scheinen meiner Meinung nach deswegen ausgeschlossen in der aktuellen Situation.
Was halten fuer wahrscheinlicher: dass es einen Umsturz im Kreml gibt oder dass die depolitisierte (apolitische) Mehreit der russischen Bevoelkerung sich oeffentlich gegen die militaeriche Spezialoperation zu aeussern beginnt?
Luzia Tschirky: Zum aktuelle Zeitpunkt scheinen beide Szenarien unwahrscheinlich. Ersteres Szenario von einem Umsturz im Kreml noch unwahrscheinlicher als zweiteres Szenario.
Warum versuchen die westlichen Regierungen nicht, mit dem russischen Volk zu kommunizieren. Die Wahrheit über Putins Machenschaften, versteckten Reichtümer usw. zu dokumentieren und auf allen Kanälen zu veröffentlichen? Das russische Volk soll wissen, wie es betrogen wird. Alles was Putin und seine Gefolgschaft veröffentlicht muss mit ehrlichen und kritischen Argumenten hinterfragt werden und in Russland und der ganzen Welt verbreitet werden.
Sebastian Ramspeck: Schwierig für den Westen, Gegen-Propaganda in einem anderen Land zu machen. Denn in Russland kontrollieren die russischen Behörden, was publiziert wird usw. usf. Was konkret würde Sie vorschlagen?
Ist es wirklich die Realitaet, dass Russinnen und Russen in der mehrzahl alles glauben was Putin verlauten laesst; und wie ist das moeglich, nachdem auch russland jetzt doch auch schon lange ein staat mit durchaus «westlicher» lebensweise war. Erklaert sich dieses phaenomen wirklich allein durch die propaganda ??
Luzia Tschirky: Verlässliche unabhängige Meinungsumfragen gibt es aus Russland seit Jahren kaum. Mit Beginn des russischen Angriffskrieges hat sich die Qualität der Umfragen noch verschlechtert. Zu wenige Menschen wollen sich an Umfragen beteiligen. Eine grosse Mehrheit der Menschen, so mein persönlicher Eindruck, versucht den Angriffskrieg gegen die Ukraine möglichst zu ignorieren und stellt sich auf den Standpunkt, dass dies nichts mit ihnen zu tun habe.
Wenn ich hier (Thailand) mit einigen der tausenden jungen geflüchteten Russ/innen rede, benennen sie einhellig als initialen Grund ihrer Flucht, die scheusslichen Kriegsverbrechen russischer Spezialeinheiten in den ersten Tagen des Überfalls. Damit sei klar gewesen, eine Versöhnung der beiden Völker sei über 3 Generationen hinaus nicht mehr möglich, da bliebe Russland nur noch die Auslöschung der Ukraine und deren ukrainischstämmigen Bevölkerung, oder ein Dauerkrieg mit dem Nachbarn, oder ein blutiger asymmetrischer Krieg von ukrainischen Partisanen gegen russische Bürger überall auf der Welt. Teilen Sie diese Meinung vieler junger Exilrussen?
Luzia Tschirky: In der Tat sind sehr viele junge Menschen nach Beginn des Angriffskrieges aus Russland geflüchtet, weil sie mit der russischen Regierung und dem Krieg nicht einverstanden sind, aber keine Möglichkeit sehen an der Politik des Landes etwas verändern zu können.
Sehr geehrte(r) Korrespondent/in Zuerst herzlichen Dank und Respekt für die nicht einfache und mittlerweile auch gefährliche Arbeit die sie täglich leisten. Die ist so wichtig. Würden Sie meine Befürchtungen teilen, dass Russland noch Jahre zivile Ziele, wie Schulen, Spitäler und Infrastruktur bombardiert, ohne wirklich weitere Terraingewinne anzustreben? Einfach um die Ukraine dem Erdboden gleich zu machen und auf diesem Wege den Widerstand der Bevölkerung zu brechen? Und in der Hoffnung der Westen beendet irgendwann die Unterstützung? Danke für Ihre Einschätzung.
Luzia Tschirky: Grüezi Herr Schreiber, in der Tat sind Ihre Befürchtungen nicht unbegründet. Es sieht zum aktuellen Zeitpunkt ganz danach aus, als würde die russische Armee mit der Bombardierung von ziviler Infrastruktur fortfahren. Es sieht jedoch nicht danach aus, als ob es der russischen Armee damit gelingen könnte, den Widerstand in der Bevölkerung zu brechen.