Wirbelnde Breaker, Hiphop-Ikone Snoop Dogg bei der Eröffnung und zahlreiche Fans im Publikum: Die Premiere von Breaking in Paris ist mit der grossen Kelle angerichtet, einige der besten Breaker batteln sich in Paris. Doch über sie spricht niemand: Der fragwürdige Auftritt von Raygun ist der prägende Moment der Olympischen Spiele.
Doch auch hinter den Kulissen brodelt es gewaltig. Der Grund: Breaking wird an den Olympischen Spielen von einem Verband vertreten, der davor nichts mit dem Tanz zu tun hatte. Der Welttanzsportverband (WDSF) beschäftigt sich hauptsächlich mit den Paartänzen Standard und Latin. Doch nun vertritt er Breaking an den Olympischen Spielen in Paris.
Breaker sind enttäuscht
Niels Robitzky alias «Storm» ist ein Meinungsführer in der Breaking-Welt und geniesst Legendenstatus. Die WDSF suchte deshalb einst die Zusammenarbeit mit ihm, um Breaking an die Olympischen Spiele zu bringen.
Heute ist er einer der schärfsten Kritiker des Verbands: Die WDSF sei Breaking nie auf Augenhöhe begegnet, habe unbequeme Stimmen zum Schweigen gebracht und die Macht an sich gerissen, sagt Storm. Tatsächlich zeigen Recherchen von SRF Investigativ: Breaking sollte dem Welttanzverband dazu dienen, auch die klassischen Tänze an die Olympischen Spiele zu bringen. Doch dies scheiterte kläglich.
Die Pläne des Präsidiums
Ein harter Vorwurf, den WDSF-Präsident Shawn Tay gleich selbst belegt. Der Singapurer kommt 2018 an die Macht, amtet zuvor als Generalsekretär und Vizepräsident im Welttanzverband. Die Planung für die Olympischen Spiele läuft bereits, als Tay seine Pläne mit Breaking offenbart.
In einem E-Mail, das nur fürs Präsidium bestimmt ist, aber SRF Investigativ vorliegt, schreibt er: «Breaking könnte unser Ticket zu den Olympischen Spielen sein. (...) Wir müssen Breaking als unsere Chance nutzen, damit Standard und Latin an den Olympischen Spielen anerkannt werden.»
Weiter betonte er, Breaking soll nicht zu viel kosten, und man müsse es «vor den Händen anderer schützen». Konkret: Tay will, dass die WDSF über Breaking bestimmen kann und die Kontrolle behält. Auf Anfrage weist der Verband darauf hin, dass er zu dieser Zeit bereits viel Geld für Breaking ausgegeben habe und viele besorgt gewesen sein, dass Standard und Latin unter den Ausgaben für Breaking leiden.
Doch die Breakerinnen und Breaker fühlen sich vom Verband nicht gut vertreten: «Ich glaube, dass zumindest innerhalb der Szene jedem klar ist, dass der Verband nicht das Nonplusultra ist», erklärt die deutsche Top-Breakerin Jilou. Für sie zählt die Community und die Kultur. Die 33-Jährige betont die Werte von Breaking: Frieden, Liebe und Verbundenheit. Diese spüre man in den Battles.
Der Wunsch nach Olympia
WDSF-Mitglieder hingegen treffen sich traditionell nicht bei Battles in Arenen, sondern beim Paartanz im Spiegelsaal. Sie gleiten in Fracks und eleganten Kleidern über das Parkett und teilen dabei andere Werte und Traditionen als die Breaker. Wie also kommt es dazu, dass die WDSF über Breaking bestimmt?
Alles beginnt mit dem Wunsch, an den Olympischen Spielen zu tanzen. Dieser schwebt jedoch nicht in den Breaking-Arenen, sondern im Spiegelsaal: Seit langem will die WDSF die Disziplinen Standard und Latin an die Olympischen Spiele bringen – bisher ohne Erfolg.
Deswegen engagiert der Verband einen Sportmanager mit guten Kontakten zum Internationalen Olympischen Komitee (IOC). Er stellt klar: Mit Paartänzen habe die WDSF keine Chance. Wenn Tanz, dann einer, der junge Menschen erreicht. Ein Sport mit coolem Image. Ein Sport wie Breaking.
Die WDSF kam und hatte keine Ahnung von Breaking. Uns war klar, dass es eine Auflage des IOC war, uns Breaker einzuspannen.
Und so beginnt der Sportmanager zu planen. Die WDSF ist der einzige Verband, der für Tanzsport vom Olympischen Komitee anerkannt ist. Ohne WDSF also keine Olympischen Spiele, weder für Breaking, noch für irgendeine andere Tanzsportart. Um die Vorgaben des IOC erfüllen zu können, involviert der Verband die Breaking Community, allen voran Breaking-Legende Storm: «Die WDSF kam und hatte keine Ahnung von Breaking. Uns war klar, dass es eine Auflage des IOC war, uns Breaker einzuspannen», erzählt er. Dennoch habe Storm zu Beginn sehr an dieses Projekt geglaubt.
Der Widerstand
Doch der Culture Clash zwischen Breaking und Paartanz sorgt auch für Widerstand. Eine Petition mit über 2000 Unterschriften fordert das IOC bereits 2017 auf, für Breaking nicht mehr mit der WDSF zusammen zu arbeiten. Breaking hätte «nichts mit den verstaubten Funktionären der WDSF zu tun». Schon damals lautet der Vorwurf: Der Verband würde Breaking nur ausnutzen, um Paartanz Olympisch zu machen.
Sitzungsprotokolle zeigen zudem: Auch die Paartänzer der WDSF sind sich nicht einig. Viele stören sich daran, dass Verbandsgelder in eine Disziplin fliessen, mit der die WDSF bis zu diesem Zeitpunkt nichts zu tun hatte. Tatsächlich nagen fehlende Einnahmen durch Covid und die Ausgaben für Breaking an den Geldreserven des Verbandes. 2020 ist die WDSF am finanziellen Tiefpunkt.
Das Sponsoring-Fiasko
Schon seit Monaten verhandeln Sportmanager und Präsidium Ende 2020 deshalb mit Red Bull einen Deal, um bei Events zusammen zu arbeiten. Doch plötzlich lässt der Verband den Deal mit dem wichtigen Partner platzen. Einer der Gründe: Red Bull will kein Geld an die WDSF direkt bezahlen. Das Präsidium akzeptiert dies nicht.
Auch wenn die Verbandsspitze den geplatzten Deal als «Chance» für andere, neue Partnerschaften bezeichnet: Nach dem Fiasko schafft sie es nicht, einen Sponsoringdeal abzuschliessen.
Dies sorgt im Verband für heftige Diskussionen und Kritik. Der Sportmanager, der den Deal verhandelte, arbeitet danach nicht mehr mit dem Verband zusammen. Ein wichtiger Brückenbauer fällt weg, denn er brachte die Breaker und die WDSF ursprünglich zusammen.
«Ab da wurde es schwierig», resümiert Storm. Er führte damals eine Gruppe mit erfahrenen Breakern, die den Verband beraten sollte. Und er weiss aus eigener Erfahrung: Gerade beim Organisieren von Events hätte der Verband die Hilfe von Red Bull gut gebrauchen können.
Dazu schreibt die WDSF, Red Bull sei eine kommerzielle Organisation, die bei Breaking und den Olympischen Spielen zu viel Einfluss und Kontrolle übernehmen wollte. Darum hätte der Verband, um seine Unabhängigkeit zu bewahren, lieber direkt mit dem IOC zusammengearbeitet.
Die Macht des Präsidiums
Endgültig eskaliert die Situation 2022 nach einem Event in Montpellier, welches die WDSF durchführt. Storm soll damals die Veranstaltung überwachen: «Ich komme zur Veranstaltung und bei 40 Grad im Schatten sieht man eine Bühne, die keine Überdachung hatte mit schwarzem Tanzboden. Es war die Hölle», erzählt der Breaker. «Es ist ein Wunder, dass sich da keiner grossartig verletzte.»
Daraufhin beschliesst die Gruppe rund um Storm, einen Brief mit Kritik und Forderungen an die WDSF zu schreiben. Einer der Punkte: Die Breaker wollen im Präsidium vertreten sein. Dies wird ihnen auch gewährt, doch das Präsidium wählt selbst, welchen Breaker sie aufnehmen.
Und so ernennt das Präsidium ausgerechnet den Breaker, der den Brief mit Kritik ans Präsidium nicht unterschrieb: B-Boy Bojin. Eine Wahl gibt es nicht. Dafür die Klausel: Die restlichen Mitglieder des Präsidiums können ihn jederzeit nach Belieben austauschen.
Bojin Cheng schreibt auf Anfrage, gewisse Breaker hätten Verständnis gezeigt, dass er nicht unterschrieben habe. Zu seinem Präsidiumsposten äussert er sich nicht.
Breaker haben nichts zu melden
Die restlichen Breaker, die den Sport zusammen mit der WDSF an die Olympischen Spiele bringen wollten, seien stillschweigend ausgeschlossen worden oder hätten die Zusammenarbeit von sich aus beendet. So schildern es mehrere Breakerinnen und Breaker, die mit der WDSF zusammengearbeitet haben. Unter ihnen auch die Breaking-Legende Storm.
Die WDSF bestreitet Kritiker ausgeschlossen zu haben. Die Minderheit, die sich jetzt beschwere, sei mehrmals dazu eingeladen worden mitzuarbeiten, habe sich aber den demokratischen Strukturen verweigert.
Die Olympia-Millionen
Die WDSF kann in der Zeit vor Paris dank der Olympia-Teilnahme von Breaking auf grosszügige Unterstützung des IOC zählen: Ab 2021 bekommt der Verband Jahr für Jahr mehr Geld vom Olympischen Komitee. Budgetiert sind insgesamt über 3.9 Millionen Franken. Mit diesen Mitteln hätte die WDSF in erster Linie Breaking als Disziplin aufbauen sollen.
Doch in den Jahresberichten fällt auf: Die Geldreserven des Verbandes steigen in der gleichen Zeit um rekordverdächtige zwei Millionen Franken an, so der Stand vor Paris. Gleichzeitig beklagen viele Breaker gegenüber SRF Investigativ, das Projekt sei unter grossem Spardruck gestanden. Hat der Verband die IOC-Millionen einfach parkiert?
Der Welttanzsportverband betont, er engagiere sich für alle Tanzsportdisziplinen, die Finanzstrategie sei nach IOC-Richtlinien ausgerichtet. Die Gelder des IOC seien sorgfältig eingesetzt worden, nicht nur für unmittelbare Projekte, auch für zukünftige nach Paris 2024.
Vorwurf: «Vetternwirtschaft» und Intransparenz
Während es so wirkt, als sei bei den Breakern jeder Franken umgedreht worden, zeigte sich das Präsidium an anderen Stellen grosszügiger. So zum Beispiel beim Generalsekretär in Lausanne. Das Gehalt des ehemaligen Paartänzers hat sich von Ende 2021 bis Mitte 2023 fast verdoppelt – von 91’000 auf 175’000 Franken pro Jahr. Die WDSF rechtfertigt die Erhöhung mit dessen Umzug aus Spanien in die Schweiz und betont, sie sei voll und ganz verdient.
Auffällig ist auch die Stellenvergabe des Safeguarding Officer. Eine Position, die für das Wohlergehen der Athletinnen und Athleten zuständig ist und die das IOC im Hinblick auf die Olympischen Spiele vorschreibt. Beim Safeguarding Officer können sich Mitglieder melden, wenn sie beispielsweise Opfer von Gewalt oder sexuellem Missbrauch wurden. Es ist eine der wenigen bezahlten Stellen in der WDSF.
Das Präsidium schreibt diese Stelle nie öffentlich aus, sondern hebt kurzerhand die Tochter des Präsidenten in die Position. Protokolle zu diesem Manöver fehlen. Der englische Szenekenner DJ-Renegade beriet wie Storm die WDSF. Er findet klare Worte: «Die Verbandsführung ist schrecklich, sie betreiben Vetternwirtschaft».
Auch im Managing Committee, werden keine Protokolle mehr verfasst. Es ist das oberste Gremium der WDSF, zudem auch der Präsident und der Finanzchef gehören. Dieses hört 2021 damit auf, ihre Protokolle zu veröffentlichen. Genau dann, als es für die Olympischen Spiele in die heisse Phase geht.
Die aktuelle Verbandsführung habe wesentliche Schritte zur Verbesserung der Transparenz unternommen. Die Tochter des Präsidenten sei als ehemalige Spitzensportlerin und Trainerin mit einem Master in Psychologie bestens für die Stelle qualifiziert. Ihr Vater sei bei der Anstellung nicht involviert gewesen und die WDSF habe das IOC vor dem Entscheid informiert, schreibt der Verband.
IOC lobt Tanzverband
Der Weg zu den Olympischen Spielen ist für die Breaking-Community ein Debakel. Auch deshalb dürften die Breaker 2028 in LA nicht mehr dabei sein. Doch das olympische Komitee stellt sich hinter den Verband: «Die WDSF hat hervorragende Arbeit geleistet, um Breaking aufzubauen, (...) die Breaking-Community einzubinden und sie in den gesamten Olympischen Weg nach Paris zu integrieren», sagt das IOC an einer Medienkonferenz 2023. Damals wird klar, dass Breaking nicht an den Spielen in Los Angeles dabei sein wird.
Nach den Olympischen Spielen ergänzt Präsident Thomas Bach: «Ich möchte der WDSF dafür danken, ein so verlässlicher Partner bei der Verbreitung des Olympischen Geistes zu sein.» Auch nachdem SRF Investigativ das IOC mit der Recherche konfrontiert, bleibt es bei der Aussage, der Verband habe hervorragende Arbeit geleistet.
Athleten sind die Leidtragenden
Breaking-Judge DJ Renegade ist nicht verwundert, dass sich das IOC hinter den Tanzsportverband stellt. Das Olympische Komitee sei für das Debakel mitverantwortlich.
Die WDSF weist die Vorwürfe zurück und verweist auf ihre transparenten Verbandsstrukturen.
Unter den Problemen im Verband leiden die Breakerinnen und Breaker. Ihre Kritik: Die WDSF habe unklar kommuniziert und teilweise die Bewertungs-Punkte an Events falsch zusammengezählt. SRF Investigativ findet in den zwei Jahren der Qualifikation für Paris 2024 ganze sieben verschiedene Versionen des Regelwerks. Die Breaker beklagen, sie seien über die Änderungen von der WDSF teilweise nicht oder erst sehr spät informiert worden.
Dies soll dazu geführt haben, dass Athleten, die an Qualifikationen weiterkommen sollten, nicht weitergekommen sind. Ein Beschwerdebrief von Breakern an die WDSF, der SRF Investigativ vorliegt, bleibt vom Verband unbeantwortet.»
Dynamische Anpassungen im Regelwerk seien nötig gewesen, weil es eine Herausforderung sei eine neue Sportart an die Olympischen Spiele zu bringen. Die Änderungen seien in Absprache mit der Breaking-Community erfolgt.
Das sagt die WDSF im Detail zu den Fragen:
«Breaker brauchen eigenen Verband»
Es fragt sich, wie weiter? B-Girl Jilou ruft auf: «Wir dürfen nicht erlauben, dass sich die WDSF Breaking aneignet.» Sie sieht die Olympia-Pause als Chance, den Weltverband zu hinterfragen und fordert: «Solange der Tanzsportverband nicht alle Entscheidungen Breaking überlässt, brauchen wir unseren eigenen Verband.»