«Der Mitarbeiter fasste mich am Po an. Zuerst dachte ich, es sei aus Versehen passiert, beim Vorbeigehen. Beim zweiten Mal sagte ich mir, nein, das kann kein Versehen sein. Ich sagte ihm, er soll aufhören. Er antwortete, es sei aus Versehen passiert. Doch die Griffe wurden immer intensiver, dann wusste ich: das war Absicht.»
Die sexuellen Übergriffe auf Tanja begannen, als sie vor mehreren Jahren an einem Kiosk arbeitete. Tanja sagte mehrmals Stopp, sie wehrte sich, doch die Übergriffe gingen weiter. Als Tanja eines Tages erkältet und heiser ist, wird sie vom gleichen Mitarbeiter auch verbal belästigt: «Er sagte mir, er habe gelesen, Sperma würde sehr gut gegen Heiserkeit helfen. Ich war schockiert, dass er mir das während der Arbeit an der Kasse sagte.»
Anlaufstellen für Betroffene:
Geschäftsführer glaubte ihr nicht
Tanja meldete es dem Geschäftsführer des Kiosks, doch dieser glaubte ihr nicht. Gegenüber «Kassensturz» erklärt der Geschäftsführer, dass der betroffene Mitarbeiter die Übergriffe abstreite, und auf den Videobildern der Überwachungskameras seien keine Übergriffe zu sehen. Für Tanja ein Schlag ins Gesicht. «Diese Stellungnahme hat mich sehr verletzt; ich weiss genau, was passiert ist.»
Der Kiosk, in dem Tanja arbeitete, gehört zur Valora-Gruppe. Valora schreibt «Kassensturz», man sei nicht über den Fall informiert worden und habe deshalb die Fürsorgepflicht nicht wahrnehmen können. Der damalige Kiosk-Mitarbeiter reagierte nicht auf eine Kontaktaufnahme.
Fabienne war 15-jährig, als sie das erste Mal sexuell belästigt wurde. Sie absolvierte damals ein Praktikum in einem Heim für beeinträchtigte Menschen und half in der Küche. Der erste Übergriff kam aus dem Nichts: «Ich verstaute etwas in einem Küchenregal und musste mich deshalb bücken. In diesem Augenblick schlug mir jemand mit dem Küchentuch auf den Po. Ich war völlig perplex. Dann sah ich, wie der Koch mich anlächelte. Ich wusste nicht, wie ich reagieren sollte, der Koch war viel älter als ich. So lächelte ich zurück.»
Doch dabei blieb es nicht. Der Koch schlug Fabienne eines Tages auch mit der Hand auf den Po. Eine Arbeitskollegin von Fabienne beobachtet den Übergriff und meldet diesen dem damaligen Heimleiter. Dieser ermahnte den Koch. Allerdings: Bei Fabienne fragte er danach nicht mehr nach. Der Koch ging nach der Ermahnung auf Fabienne zu und spielte die Übergriffe herunter. «Kassensturz» konnte keinen Kontakt zum damaligen Koch herstellen.
Für Judith Wissmann Lukesch, Rechtsanwältin und Arbeitsrecht-Expertin, ein krasser Fall: «Gegenüber einer minderjährigen Lernenden gilt eine erhöhte Fürsorgepflicht, weil sie in dieser Situation abhängig ist; das heisst, sie kann mit dieser Situation nicht umgehen, fühlt sich in die Enge getrieben und toleriert Dinge, die sie einem normalen Fall nicht tolerieren würde. Der Arbeitgeber hat in diesem Fall seine Fürsorgepflicht verletzt.»
«Kassensturz» konfrontiert den damaligen Heimleiter. Er sagt: «Wenn ich gewusst hätte, dass die Übergriffe nach der Ermahnung nicht endeten, hätte das sicher personalrechtliche Konsequenzen nach sich gezogen. Mir wurden aber keine weiteren Vorfälle gemeldet. Ich ging stets davon aus, dass mir weitere Vorfälle gemeldet würden.» Doch Fabienne hatte Angst, die Übergriffe zu melden: «Ich ging davon aus, dass mir nicht geglaubt wird.» Sie arbeitet heute nicht mehr in diesem Heim.
Auch Tanja arbeitet heute nicht mehr im Kiosk, sie hat eine Stelle in einer anderen Branche gefunden.