Céline K. ist Mutter von zwei Kindern und Ehefrau. Sie ist bei der Familie K. die Hauptverdienerin und diejenige, die die Steuererklärung ausfüllt und diese auch bezahlt. Trotzdem wird ihr Ehemann als Hauptperson im Steuerdossier geführt und in der Vergangenheit wurden Rückzahlungen automatisch auf sein Konto gutgeschrieben. Ihr eigenes konnte sie nicht angeben. Das will sich Céline K. nicht mehr gefallen lassen.
Das ist im Jahr 2020 nicht normal.
Familie K. engagierte eine Anwältin und geht gegen die Steuerverwaltung des Kantons Bern vor. «Ich will, dass sich das ändert», so Céline K, «für mich, für meine Tochter und alle Frauen in der Schweiz.»
«Wir haben seit fast 40 Jahren einen Gleichstellungsartikel in der Bundesverfassung», so Margret Kiener Nellen, die Anwältin von Familie K. Seit über 20 Jahren stehe derselbe Artikel auch in der Berner Kantonsverfassung. Die Berner Steuerverwaltung verstosse also gegen das Gesetz. Diese nimmt zum laufenden Verfahren keine Stellung, gibt aber allgemein Auskunft.
Weshalb ist der Mann die Nummer 1?
Die geltende Steuerpraxis sei historisch entstanden, erklärt Tanja Bertholet, Sprecherin der Berner Steuerverwaltung. «Es ist uns durchaus bewusst, dass die heutige Praxis für Unmut sorgt.» Die Praxis könne man aber nicht einfach so ändern, sagt sie: Bei 650'000 steuerpflichtigen Personen im Kanton Bern müssten die Abläufe nach einfachen, konsequenten Regeln verlaufen. «Den Steuerpflichten eine Auswahl zu lassen, wer der Träger des Steuerdossiers sein soll, wäre schlicht nicht umsetzbar.»
Bei gleichgeschlechtlichen Paaren setzt der Kanton Bern aber auf eine neutrale Vorgehensweise: Dort wird automatisch diejenige Person als Dossierträgerin oder Dossierträger gewählt, deren Name im Alphabet früher kommt. Es wäre sehr aufwändig, das auch für die heterosexuellen Paare einzuführen.
Es würde viel kosten, diese Praxis zu ändern.
Aufgrund von Beschwerden hat der Kanton Bern mittlerweile seine Praxis leicht angepasst: Man kann jetzt als Ehepaar per Brief oder Mail verlangen, dass die Rückzahlungen auf das Konto der Frau getätigt werden.
Kein Luxusproblem
Schwierig wird es, wenn es zu einer Scheidung kommt und das Konto des Mannes hinterlegt ist: «Dann kommt es vor, dass die Rückzahlung an die Frau trotzdem auf dem Konto des Mannes landet», erklärt Anwältin Margret Kiener Nellen. Die Frau müsse dann selbst beim Mann das Geld zurückverlangen. Das sei heikel.
Tut sich was?
Das eidgenössische Büro für Gleichstellung kümmert sich exakt um solche Angelegenheiten. Man würde eine Praxisänderung der Kantone begrüssen, heisst es. Die kantonale Fachstelle in Bern bestätigt ebenfalls, dass die Praxis nicht mehr in die heutige Lebensrealität passe. «Verheiratete Frauen sind heute überwiegend erwerbstätig. Es gibt auch Haushalte, in denen Frauen ein grösseres Erwerbseinkommen erzielen als Männer.» Im Sinne der Gleichstellung sei es geboten, dass sich diese Lebensrealität auch in der Ansprache in den Steuerformularen abbilden.
Die Steuern werden oft aus dem Portemonnaie beider Ehegatten beglichen.
Diese Gleichstellungs-Büros haben allerdings nur beratende Funktion. Wer künftig die Nummer 1 ist auf den Steuerformularen, das entscheiden schlussendlich die Behörden und die Politik.
Im Kanton Bern könnte sich diesbezüglich tatsächlich was ändern. Einerseits muss das bernische Verwaltungsgericht über die Beschwerde der Familie K. urteilen, andererseits wurde im Kantonsparlament ein Vorstoss eingereicht. Und auch im Nationalrat ist einer auf Bundesebene hängig.