Der dänische Dichter und Schriftsteller Hans Christian Andersen (1805 - 1875) gehört zu jenen Märchendichtern, dessen Geschichten immer sehr traurig enden. Wieso das so ist, zeigt das Theater Basel mit seiner neuen Produktion «Andersens Erzählungen», das am Freitagabend uraufgeführt wurde.
Die traurige Meerjungfrau
Die kleine Meerjungfrau ist ein wunderschönes Wesen mit einem Fischschwanz, das vom Leben auf der Welt und von der Liebe träumt. Als sie sie findet, ist sie bereit, alles dafür herzugeben: Die Familie, das Meer, ihre wunderbare Singstimme und schliesslich auch ihr Leben.
Verbotene Männerliebe
Der Schöpfer dieser traurigen Figur, Hans Christian Andersen, weiss, wovon er schreibt, wenn es um die unerfüllte Liebe geht. Als Jugendlicher aus armen Verhältnissen kommt er in eine bürgerliche Familie in Kopenhagen und verliebt sich prompt in den Ziehbruder Eduard.
Doch diese Liebe durfte im Dänemark des 19. Jahrhunderts nicht sein, also schickt die Familie den einen auf Reisen und verheiratet den andern. Am Tag der Hochzeit kehrt Andersen von seine Reise zurück, jetzt oder nie! – und gesteht Eduard seine Liebe, indem er die Geschichte von der kleinen Meerjungfrau zu erzählen beginnt und ihrer grossen, unerfüllten Liebe. Andersen, der Dichter, verschmilzt mit dem Geschöpf seiner Fantasie. Natürlich gerät die bürgerliche Welt für einen Augenblick aus den Fugen. Jette, die Braut, möchte lieber den wunderbaren Geschichtenerzähler heiraten, Eduard vergewaltigt ihn halb betrunken, Andersen verlässt das Haus seiner Jugend wieder. Das Familienoberhaupt stellt die Ordnung wieder her. Jetzt wird geheiratet, sagt er. Es gehe ganz schnell, ein wenig beten, ein wenig essen, ein wenig tanzen, dann habe er es hinter sich. Eduard gehorcht.
Offene Frage
Ob Hans Christian Andersen wirklich schwul war, darüber wurde viel diskutiert. In seinen Briefen und Tagebüchern schreibt er oft von Männern und Frauen, nach denen er sich sehnt. Aber vielleicht gehört die unerfüllte Liebe auch einfach zum romantischen Dichter. Und er war letztendlich weder das eine noch das andere. Vermutlich eher asexuell.
Grosse Fantasiewelt
Jan Dvorak, der Autor der Schauspieloper «Andersens Erzählungen» nimmt sich die künstlerische Freiheit und zeigt uns einen schüchternen, einsamen Dichter, der all seine unerfüllte, ungelebte Liebe zu diesem Eduard in seine Geschichten und Figuren hineinlegt. Anfänglich geht das zwischen seiner Fantasiewelt und der bürgerlichen Wohnstube hin und her, nach und nach beginnen sich aber die beiden Ebenen zu überlagern, und aus Eduards Kopf steigen die Zinnsoldaten, das Mädchen mit den Schwefelhölzern, die Meerjungfrau und ihre Welt und verwandeln die kahlen Wände in ein Zauberreich, einen Sehnsuchtsort. Dafür hat der Amerikaner Jherek Bischoff eine farbige Musik komponiert, die an grosse Oper erinnert, bisweilen auch an grosses Kino, aber auch etwas vom Charme eines Musicals hat. Kompliziert will sie nicht sein, dafür emotional. Und das gelingt ihr, mit schönen Melodien und eingängigen Leitmotiven. In der Fantasiewelt darf gesungen werden, in der Realität, im Hause der Famile von Eduard, wird gesprochen.
Ein grosser Coup
Philipp Stölzl ist der Regisseur dieser opulenten Produktion, vereint Schauspiel, Tanz und Oper so virtuos, dass die Spartengrenzen bisweilen verschwimmen. Das geht so wunderbar, weil ein hochmotiviertes Team am Werk ist, auf der Bühne allen voran der Andersen Darstellen Moritz von Treuenfels und der Sopranist Bruno de Sa als Meerjungfrau. Grosses leisten aber auch die Werkstätten, die schrille Kostüme und schillernde Meereslandschaften geschaffen haben, ebenso wie die Leute hinter der Bühne, die den beachtlichen technischen Aufwand mit Flugwerken und fahrenden Bühnenteilen meistern. Die Saison ist noch jung, aber bereits jetzt hat das Theater Basel damit einen grossen Coup gelandet.
(SRF1, Regionaljournal Basel, 17:30, kaeg/agom)