Chantal Galladé war eines der bekanntesten und profiliertesten Aushängeschilder der SP. Nicht einmal vier Wochen vor den Zürcher Wahlen liess sie in einem Interview mit dem «Tages-Anzeiger» die Bombe platzen. Nach über 30 Jahren tritt sie bei der SP aus – und den Grünliberalen bei.
Partei wurde vom Entscheid überrascht
Die kantonale Partei reagiert enttäuscht und überrascht. Sie hätten den Entscheid sehr kurzfristig erfahren, sagt Co-Präsident Andreas Daurù. «Wir bedauern es sehr.» Er hätte es gut gefunden, wenn Galladé zuvor noch einmal das Gespräch gesucht hätte. Der Zeitpunkt des Austritts sei unschön. An grosse Auswirkungen auf die Wahlen mag er aber nicht glauben: «Die Wählerinnen und Wähler orientieren sich nicht an einer Person, sondern an der Grundhaltung der Partei.»
Dass es für Chantal Galladé und andere SP-Politikerinnen und Politiker vom rechten Flügel immer schwieriger wird, sich in der SP noch zu Hause zu fühlen, will Daurù nicht gelten lassen: «Wir sind eigentlich klar der Meinung, dass die SP breit aufgestellt ist und dass sich Mitglieder unterschiedlicher Strömungen nach wie vor sehr wohl fühlen.»
Jositsch will bleiben
SP-Ständerat Daniel Jositsch, der zusammen mit Galladé den liberal-rechten Flügel der SP verkörpert, hat für ihren Entscheid hingegen Verständnis: «Ich kann ihre Vorbehalte gegenüber der aktuellen Politik der SP nachvollziehen.» Er selbst sieht seine Aufgabe darin, den Kurs der Partei zu verändern und zu prägen. Jositsch engagiert sich deshalb in der Reformplattform der SP. Ein Wechsel zu den Grünliberalen ist für ihn keine Option.
SRF: Chantal Galladé, Sie wechseln die Partei, warum?
Chantal Galladé: Als ich vor 30 Jahren der SP beigetreten bin, stand die Partei für vernünftige Beziehungen mit Europa, sie setzte sich für die Umwelt ein, für Tagesschulen und für die Gleichberechtigung von homosexuellen Menschen. Heute muss ich sagen: Jetzt verkörpern dies alles die Grünliberalen, man kann mit ihnen aber auch eine vernünftige Sicherheitspolitik machen. Ich bin sehr glücklich, mich jetzt bei diesen vielen wunderbaren Menschen von den Grünliberalen, die sehr offen miteinander umgehen und viele Meinungen tolerieren, zu engagieren.
Höre ich hier auch eine Kritik an der SP? Sie reden von Offenheit und Toleranz, haben Sie dies bei der SP nicht so erlebt?
Ich bin bei der SP immer hingestanden und habe meine Meinung gesagt. Ich bin Diskussionen nie ausgewichen. Ich habe das intern und öffentlich gemacht und es ist alles gesagt, für mich ist es gut. Ich werde gar nichts Schlechtes sagen über meine alte Partei. Ich bin einfach sehr erleichtert darüber, wie die Grünliberalen miteinander umgehen, wie sie alle Meinungen akzeptieren und auch lustvoll politisieren.
Sie wechseln die Partei gut drei Wochen vor den Wahlen. Da kann man sagen, es steckt sicher auch Kalkül dahinter.
Man kann immer etwas sagen. Tatsache ist aber, dass sich die SP im Schlepptau der Gewerkschaften fundamental gegen den ausgehandelten Rahmenvertrag stellt und damit die Beziehung zu Europa gefährdet. Ich habe das immer als wichtigen Pfeiler erachtet, der mich immer auch ganz fest in der SP gehalten hat. Das verstehe ich nicht mehr und das kann ich auch nicht mehr mittragen oder mitverantworten. Damit ist der Zeitpunkt auch erklärbar. Würde ich zum Beispiel nach den Wahlen wechseln wäre es auch vor den Wahlen - vor den nationalen Wahlen.
Das Gespräch führte Barbara Seiler.