Die Debatte über die politische Entwicklung der Schweiz nach dem Wahlerfolg der SVP nimmt an Schärfe zu.
Mit seinem essayistischen Warnruf «Die Schweiz ist des Wahnsinns» in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung hatte der Schriftsteller Lukas Bärfuss noch vor den Wahlen für Aufsehen gesorgt. Jetzt, einige Tage danach, äussert er sich in der «Schweiz am Sonntag» ausführlich zum Wahlresultat und redet Klartext.
«Unbegrenzte Mittel der SVP»
«Es wird Zeit, dass wir die Dinge beim Namen nennen», sagt Bärfuss. «Wer das Asylrecht aufheben will, ist rechtsextrem. Wer die Europäische Menschenrechtskonvention kündigen will, ist rechtsextrem. Wer mit nazistischen Symbolen Wahlwerbung macht, ist rechtsextrem. Das alles trifft auf die SVP zu», sagt Bärfuss gegenüber dem Blatt.
Den Erfolg der SVP führt er primär auf deren «unbegrenzte Mittel» zurück, die alt Bundesrat Christoph Blocher beisteuere. «Die SVP hat in zwanzig Jahren ihren Wähleranteil von 10 auf fast 30 Prozent steigern können, indem sie Angst schürt. Angst vor dem Fremden und Angst vor Europa. Beunruhigend ist die Verbindung des Extremismus mit unbegrenzten finanziellen Mitteln.»
Parteiengesetz auf den Weg bringen
Bärfuss erwartet darum von den anderen Parteien, dass sie endlich ein Parteienfinanzierungsgesetz auf den Weg bringen, welche die Geldströme offenlegt. Und von den Medien erwartet er, dass sie dem Extremismus auf den Grund gehen.
Laut Bärfuss ist es kein Zufall, dass im Wahlvideo der SVP die Zahl 88 zu sehen ist – ein, wie er meint, «unzweideutiges Nazi-Symbol». Bärfuss fordert die Einführung des Ausländerstimmrechts, denn «das Volk» und die «direkte Demokratie» würden zur Farce. Die Schweiz, so der Schriftsteller gegenüber der Zeitung, nähere sich einem Apartheids-Staat.
Moderate Töne von Blocher
Blocher selber schlägt im gleichen Blatt eher konziliante Töne an. Eine SVP mit zwei Bundesratssitzen werde «sicher kompromissfähiger» und übernehme Gesamtverantwortung.
Die SVP sei bereit zur Regierungsbeteiligung. Kompromisse seien sogar bei der SVP-Zuwanderungsinitiative möglich – sofern das Hauptziel, die «massive Senkung der Zuwanderung», erreicht werde.
«Einbinden lassen wir uns nicht»
Doch Blocher macht auch klar: Die SVP wird nicht alle Kompromisse mittragen. «‹Einbinden› – ein unglaubliches Wort – lassen wir uns sowieso nicht», sagt er. Für jede Partei gelte das gleiche: Regierungsmitglieder seien an Beschlüsse der Regierung gebunden, «nicht aber die Partei».
Unverhandelbar sind für Blocher der Widerstand gegen ein EU-Rahmenabkommen mit automatischer Rechtsübernahme oder ein EU-Beitritt sowie das Vorhaben der SVP, Schweizer Recht in fast jedem Fall über Völkerrecht stellen zu wollen. «Wir sind bereit Verantwortung zu tragen. Aber wer denkt, wir würden einknicken (...), nur damit wir in den Bundesrat dürfen, täuscht sich.»
Nicht-Linientreue werden ausgeschlossen
Sicher ist für Blocher auch, dass ein Bundesratskandidat der SVP linientreu sein muss: «Wir wollen nicht mehr, dass man Alibi-SVPler in den Bundesrat wählt, die dann das Gegenteil der Partei vertreten», betont er. Blocher bestätigt, dass ein Bundesrat, der nicht offiziell nominiert wurde, aus der Partei ausgeschlossen würde.
Ob die SVP zu einem zweiten Bundesratssitz kommt, bestimmten die anderen Parteien, stellt Blocher fest. «Deshalb muss sich die SVP mit den Parteien zusammensetzen, um zu sehen, wer noch bürgerlich ist.»
Attacken gegen bürgerliche Partner
Man müsse «mit den drei grössten Parteien reden.» Auch mit der SP, von der er wissen wolle, «ob sie noch zur Konkordanz steht».
Trotz gemässigteren Tönen teilt Blocher an die bürgerlichen Partner aus: Der FDP wirft er vor, den EU-Beitritt in Kauf zu nehmen. Die CVP kritisiert er für ihren Kurs: «Für die CVP kommt bei den Bundesratswahlen die letzte Gelegenheit, sich endlich – im Sinne ihrer Basis – bürgerlich auszurichten.»
FDP sucht in EU-Frage andere Partner
Nicht nur Blocher, auch FDP-Präsident Philipp Müller betont die Unterschiede zwischen SVP und FDP. Auch wenn die Fraktionen eine absolute Mehrheit im Nationalrat hätten, sei es ein Trugschluss zu meinen, die FDP werde sich jetzt für eine Blockade-Politik hergeben», sagte Müller. Das komme nicht in Frage. Gerade beim Verhältnis zur EU – «das wichtigste Thema der kommenden Legislatur» – werde die FDP eine Mehrheit ausserhalb der SVP suchen.
Dagegen gebe es bei der geplanten Energiewende, der Reform der Altersvorsorge oder auch beim Budget «grosse Schnittmengen». Für die Bundesratswahlen verlangt Müller – im Falle eines Rücktritts von Eveline Widmer-Schlumpf – ein Zweierticket von der SVP. «Das Parlament soll eine Auswahl haben.» Ein allfälliger Kandidat müsse das Kollegialitätsprinzip respektieren und zwei Landessprachen sprechen.