Im Gegensatz zu langjährigen Parteimitgliedern, welche die «Ochsentour» durch Parteiämter, Schulpflege, Gemeinderäte gemacht haben, kommen die Quereinsteiger aus einem anderen Tätigkeitsfeld direkt ins Parlament.
Derzeit prominent ist die Kandidatur von Unternehmerin Magdalena Martullo-Blocher, die im Oktober in den Nationalrat gewählt werden will.
Doch sie ist nicht alleine: 23 Prozent der Nationalratsmitglieder sind Quereinsteiger, sagt Stefanie Bailer. Die Assistenzprofessorin der ETH Zürich hat die Lebensläufe der derzeitigen Nationalräte systematisch analysiert: «Meist entschliesst sich die Parteispitze zu einem bekannten Gesicht.» Parteien versuchen damit, neue Wähler anzusprechen.
Doch nicht immer ist der Wechsel einfach. «Quereinsteiger sind riskantere Kandidaten für die Partei: Es ist unsicher, wie sie sich an die Fraktion anpassen», erklärt Bailer.
Quereinsteiger als «Überraschung»
Skepsis hat auch der ehemalige Journalist Matthias Aebischer (SP/BE) erlebt, der seit 2011 im Nationalrat sitzt: «Die Leute wissen ja nicht, wie man ist. Ein Quereinsteiger ist immer eine Überraschung.» Das Vertrauen müsse man sich erarbeiten, «das geht nicht von null auf hundert».
Damit geht Margrit Kessler (GLP/SG) einig. Am Anfang sei sie schon «eher eine Blackbox für die ganze Fraktion» gewesen, lacht Kessler. Die ehemalige Pflegefachfrau war früher zwar Mitglied der CVP. In den vielen Jahren bis zu ihrer Kandidatur für den Nationalrat 2011 liess die Präsidentin der Schweizerischen Patientenorganisation (SPO) die Parteipolitik jedoch ruhen: «Ich habe mich voll aufs Gesundheitswesen konzentriert.»
Ein Parlaments-Neuling ist Thomas Matter (SVP/ZH). Erst Mitte 2014 rückte der Banker in den Nationalrat nach. «Es war mir wichtig, dass ich auf der Nationalratsliste einen Platz weiter hinten hatte und mich selber nach vorne kämpfen musste.»
Skepsis am Anfang
Dass manche altgedienten Parteimitglieder Mühe mit Quereinsteigern haben, die gleich gewählt werden, ist kein Geheimnis. Bei manchen sei der Einstieg anfänglich nicht gut angekommen, so Patientenschützerin Kessler: «Mit der Zeit haben sie gemerkt, wo meine Spezialitäten liegen.»
Sie wurde direkt von der Parteispitze angefragt. Auf ihn sei auch die Parteispitze zugekommen, so Matter – und zwar bereits 2005. Damals sei er aus beruflichen Gründen noch nicht bereit gewesen, «der Entscheid reifte bis 2010».
In der Berner SP habe sich die Parteibasis in einer Abstimmung bewusst dazu entschlossen, Quereinsteiger zu fördern, erklärt indes Aebischer. «Ich wusste vorher schon, wer wenig Freude an meiner möglichen Wahl haben würde.» Er hat Verständnis für etwaigen Frust – schliesslich hätten sich manche «über die Jahre Chancen ausgerechnet.»
Knochenarbeit zur Akzeptanz
«Dass alteingesessene Parteimitglieder frustriert werden, ist nachvollziehbar», meint ETH-Forscherin Bailer. «Parteiarbeit ist anstrengend, das kennt ein Neuer nicht, der nie mehrere Wahlkämpfe durchgemacht hat.»
Doch Alteingesessene hätten einen Vorteil: «Quereinsteiger werden weniger oft in höhere Parteipositionen gewählt, zum Beispiel als Fraktionspräsidenten. Hier wird die jahrelange Parteiarbeit und das Netzwerk honoriert.» Quereinsteiger brächten hingegen oft frischen Wind und frische Ideen mit ein, so Bailer. «Ihre Erfahrung ist fürs Parlament oft sinnvoll.»
Den möglichen Vorwurf des Überfliegers lässt Banker und SVP-Nationalrat Matter nicht gelten: «Ich habe meine ‹Ochsentour› als Unternehmer gemacht.» Ihm sei von Anfang an bewusst gewesen, dass «zur Politik Knochenarbeit gehört». Das sehen auch seine Ratskollegen von der SP und der GLP so.
«Die erste Session war wirklich happig. Man hat sich durchgearbeitet. Ich wusste: Jetzt muss ich an die Säcke», erinnert sich Kessler. Auch Aebischer ist der Meinung: «Die politische Arbeit ist eine Fleissarbeit – und Glaubwürdigkeit muss man sich erarbeiten. Mit Schein und Schaumschlägerei kommt man als Quereinsteiger nicht weiter.»
Interessenbindungen oft transparenter
Der Verdacht liegt nahe, Quereinsteiger seien befangen und hätten mehr Interessenbindungen als andere Parlamentarier. Es gäbe dazu keine systematischen Daten, so Bailer von der ETH.
«Es liegt natürlich nahe, dass Interessen vorhanden sind. Diese Interessen kennt man aber auch bei der Rekrutierung, man holt die Quereinsteiger ja auch bewusst, weil sie eine gewisse Strahlkraft haben.»
Solange Interessenbindungen transparent seien, könne man das auch kontrollieren. Bei Quereinsteigern wisse man wenigstens, aus welcher Ecke sie kämen, so Bailer. Das sei bei den ‹Ochsentourlern› weniger der Fall.