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Grafik Clearing.
Legende: Vernetztes Gewebe: Kollabiert nur eine Clearing-Stelle, ist das ganze Finanzsystem gefährdet. SRF

Wirtschaft Clearing-Häuser sollen Risiken mindern – nun sind sie selbst eins

Eigentlich sollten Clearing-Häuser die Sicherheit im Finanzmarkt erhöhen. Inzwischen sind sie selbst zum Systemrisiko geworden. Sie sind «too big to fail». Würde die Deutsche Börse tatsächlich mit der London Stock Exchange fusionieren, würde sich die Situation weiter verschärfen.

Eigentlich sind Clearing-Häuser nichts anderes als eine Versicherung. Wenn an einer Börse Aktien oder andere Finanzprodukte gehandelt werden, tritt ein Clearing-Haus zwischen Käufer und Verkäufer – sie garantiert damit den Deal.

Doch die Milliarden-Risiken, die die Clearing-Häuser tragen, sind innert Kürze explosionsartig gestiegen. Sie gelten heute als systemrelevant. Der Konkurs eines ihrer Mitglieder könnte einen Domino-Effekt von Konkursen im Finanzsystem auslösen.

500 Billionen US-Dollar über Clearing-Häuser abgewickelt

Video
Erklärgrafik: So funktioniert Clearing
Aus ECO vom 20.06.2016.
abspielen. Laufzeit 57 Sekunden.

Es waren die Regulatoren, die das Finanzsystem nach der Finanzkrise sicherer machen wollten und die Clearing-Häusern so gross werden liessen. Sie erliessen Gesetze, damit sogenannte ausserbörslich gehandelte Derivate, welche 2008 den US-Versicherer AIG in den Konkurs führten, neu über Clearing-Häuser abgewickelt werden. Banken sind seitdem verpflichtet, entsprechende Gelder zu hinterlegen.

Inzwischen wird die Hälfte dieser Derivate im Wert von 500 Billionen US-Dollar weltweit über Clearing-Häuser abgewickelt. Zu den Profiteuren der gesetzlichen Auflagen gehören in Europa vor allem die vier Clearing-Häuser, die die ganze Palette ausserbörslich gehandelter Derivate abdecken (s. Box).

Befürchtungen vor «too big to fail»

Marktführend im Derivate-Clearing ist LCH.Clearnet, die zur Londoner Stock Exchange gehört. LCH.Clearnet hat in den letzten zwölf Monaten Zinsderivate mit einem Volumen von 314 Billionen US-Dollar abgewickelt.

Im Zuge der geplanten Fusion der Londoner Börse mit der Deutschen Börse soll das Londoner Clearing-Haus mit der Clearing-Tochter der Deutschen Börse, Eurex Clearing, unter einem Dach vereint werden. Zusammen würden die Clearing Häuser LCH.Clearnet und Eurex Clearing der mit Abstand grösste Clearing-Akteur im europäischen Markt.

Die geplante Fusion weckt international Befürchtungen. François Villeroy de Galhau, der Direktor der französischen Nationalbank, warnte kürzlich: «Wenn sich die Clearing-Häuser der London Stock Exchange und der Deutschen Bank zusammenschliessen, besteht das Risiko, dass daraus ein Akteur entsteht, der ‹too big to fail› ist.» Der sonst liberale «Economist» warnt, die Zusammenlegung könnte fürchterliche Folgen haben.

Clearing-Häuser als Knotenpunkte

In der EU gibt es 17 grosse Clearing-Häuser. Vier davon kontrollieren den grössten Teil der Abwicklungen im sogenannten Zinsderivate-Geschäft. Es sind dies CME Clearing der Termin-Börse Chicago, die Nasdaq Clearing in Schweden, LCH.Clearnet der Londoner Börse sowie Eurex Clearing, die zur deutschen Börse gehört.
Alle Clearing-Häuser sind mit unzähligen Banken verbunden. Diese wiederum sind unter sich über Interbank-Finanzierungen und unzählige
Verträge verbunden. Auch die Clearing-Stellen selbst sind vernetzt. Die Clearing-Stellen sind gewichtige und neuralgische Knoten im Finanzsystem.

Schliessen sich mit der Clearing-Stelle in London und Eurex Clearing zwei dieser Giganten zusammen, fokussiert sich das Risiko auf noch
weniger Anbieter.
Markus Leippold
Legende: Markus Leippold, Universität Zürich: «Es gibt ein ‹too big to fail›-Problem.» SRF

Markus Leippold, Professor am Banking and Finance Institute der Universität Zürich, beobachtet den Clearing-Markt schon lange: «Die Risiken sind klar, es gibt ein ‹too big to fail›-Problem.» Die Situation sei paradox. Die Regulatoren hätten nach der Finanzkrise eigentlich gesagt, dass man die Banken nicht zu gross werden lassen wolle oder sogar verkleinere. «Auf der anderen Seite hat man durch die Zentralisierung des OTC-Geschäfts neue Riesen geschaffen – diese Clearing-Häuser», stellt Leippold fest. Die Regulation der Clearing Häuser müsse nun genau überlegt werden.

Mangelnde Transparenz zwischen den Häusern

Eurex-Clearing-Chef Erik Müller räumt im Interview mit «ECO» ein, dass die Transparenz zwischen den Clearing-Häusern verbessert werden könnte. Sein Haus habe etwa keinen Einblick in andere Clearing-Stellen.

Erik Müller
Legende: Erik Müller, Eurex Clearing: «Risiken im System reduzieren» SRF

Er äussert sich in «ECO» erstmals öffentlich über die geplante Partnerschaft: «Wir würden die zwei Clearing-Häuser separat und in ihrer rechtlichen Integrität so beibehalten, wie sie heute sind.»

Die Transparenz zwischen Eurex Clearing und LCH.Clearing könnte erhöht werden. Die beiden Clearing-Häuser könnten gegenseitig einblicken, welche Risiken beim anderen vorhanden seien. Bei Eurex Clearing glaubt man nicht, einen Akteur zu schaffen, der «too big to fail» ist.

Im Gegenteil, Eurex-Clearing-Chef Erik Müller sagt, dass die Zusammenlegung letztendlich die Aufrechnung gegenseitiger Risiken ermögliche, um Gebühren zu senken. «Das wiederum bedeutet, dass man Risiken in beiden Clearing-Häusern betrachtet und mögliche Verrechnungen vornimmt und damit Risiken reduziert in dem System», sagt Erik Müller.

Experte Markus Leippold ist nicht einverstanden. Natürlich könnten die Clearing-Häuser durch Fusionen und Konsolidierungen Kosten einsparen; das komme einerseits den Clearing-Mitgliedern zu Gute und andererseits auch den Kunden in diesen Derivatemärkten. Aber er wendet ein: «Das ist so unter normalen Marktbedingungen. Wenn aber eine Finanzkrise stattfindet oder ein Schock im System eintrifft, dann kann die Verletzbarkeit dieses Systems viel grösser sein und die Auswirkungen viel verheerender.»

OTC-Derivate: Wildwestgebiet wird kontrolliert

Bis zur Finanzkrise gab es kaum Vorschriften für ausserbörsliche Derivate. Im sogenannten OTC-Handel (Over the Counter) konnten zwei Parteien jegliche Transaktion vereinbaren. Sie konnten ihr Geschäft individuell abwickeln (Clearing).
Im Herbst 2008 ging der US-Versicherer AIG Pleite und wurde verstaatlicht. Er hatte sich mit OTC-Derivaten zu viele ­Risiken aufgebürdet und sie falsch einschätzt. Konkret wurde AIG von Kreditversicherungen (Credit Default Swaps, CDS) zu Fall gebracht. Als Folge davon wollten die Regierungschefs am Gipfel der G20 im Jahr 2009 der Intransparenz im ausserbörslichen Handel, dem sogenannten Over-the-counter, OTC-Handel, ein Ende setzen. Sie entschieden, diese heiklen Transaktionen sollen künftig über Clearing Häuser transparent abgewickelt werden. Seither wird der OTC-Handel nach und nach an Clearing-Stellen verlagert. Insgesamt geht es um ein ausstehendes Derivatevolumen von weltweit 500 Billionen US-Dollar – die Hälfte geht bereits über Clearing-Häuser.

In der EU muss der ausserbörsliche Derivate-Handel nun seit diesem Monat über Clearing-Stellen laufen. Davon profitieren Eurex Clearing und LCH.Clearnet. Sie wickeln die grossen Volumen nicht mit mehr mit Aktien- und Obligationen ab, sondern mit ausserbörslich gehandelten Derivaten.
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