- Bei Massenentlassungen werden am Ende bedeutend weniger Stellen gestrichen, als zu Beginn angekündigt.
- Hauptverantwortlich für die Diskrepanz sind die Konsultationsverfahren zwischen Unternehmen, Vertretern der Arbeitnehmer und den Sozialpartnern.
- Das zeigen Recherchen von «10vor10».
Der Schock sitzt tief: Der Industriekonzern General Electric (GE) will weitere 1400 Stellen im Kanton Aargau abbauen. Das teilte der US-Mischkonzern am Donnerstag mit. Doch neben GE kündigten dieses Jahr rund 300 Firmen hierzulande Massenentlassungen an – rund 12'600 Angestellte sind betroffen. Das zeigt eine Umfrage bei allen Kantonen.
Mehrere tausend Stellen bleiben verschont
Recherchen von «10vor10» zeigen: Bei Massenentlassungen werden am Ende bedeutend weniger Stellen gestrichen, als zu Beginn angekündigt. 15 Kantone konnten Auskunft darüber geben, wie gravierend Massenentlassungen wirklich sind.
In diesen Kantonen sollten 2016 ursprünglich 4327 Stellen im Rahmen von Massenentlassungen gestrichen werden – schlussendlich waren es jedoch nur 2688, also 62 Prozent und damit mehr als ein Drittel weniger als der insgesamt angekündigte Stellenabbau. Ein ähnliches Bild zeigt sich in den Vorjahren:
2015 wurden nur 68 Prozent abgebaut und 2014 gar nur 42 Prozent.
Ab wann ist es eine Massenentlassung?
Laut OR 355d ist die Rede von einer Massenentlassung in einem dieser drei Fälle: |
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Ein Betrieb mit 20 bis 99 Arbeitnehmern entlässt mind. zehn Mitarbeiter |
Ein Betrieb mit 100 bis 299 Arbeitnehmern entlässt mind. zehn Prozent der Mitarbeiter |
Ein Betrieb mit 300 oder mehr Arbeitnehmern entlässt mind. 30 Mitarbeiter |
Auch als General Electric zuletzt Stellen in der Schweiz strich, kam es weniger happig, als erwartet: Wollte der Konzern im Januar 2016 noch 1300 Arbeitsplätze streichen, waren am Ende nur 900 Stellen betroffen.
Konsultationsverfahren führen zu positiven Ergebnissen
Woher rührt die Diskrepanz zwischen Ankündigung und tatsächlichem Stellenabbau? Hauptverantwortlich sind die Konsultationsverfahren zwischen Unternehmen, Vertretern der Arbeitnehmer und den Sozialpartnern.
In intensiven Diskussionen eruieren die Parteien, wie der Abbau möglichst verträglich ablaufen kann. So wird etwa diskutiert, welche Mitarbeiter verschont bleiben sollten oder wie das Unternehmen den weiteren beruflichen Weg der Angestellten durch Weiterbildungen vereinfachen kann.
In dieser Phase befindet sich zurzeit das Solarunternehmen Meyer Burger. Im November hatte der Konzern in Thun angekündigt, bis zu 180 Stellen zu streichen. Nun hoffen Arbeitnehmer und Sozialpartner, den Schaden zu begrenzen. Die Konsultationsphase kann zu sehr positiven Resultaten für die Angestellten führen, sie ist aber auch eine Zeit der Ungewissheit für viele Mitarbeiter.«Die grösste Schwierigkeit ist die Verunsicherung. Das ist für die meisten Mitarbeiter sehr unangenehm», attestiert Martin Fischer. Er vertritt die Arbeitnehmer in den Verhandlungen mit Meyer Burger. Die berufliche Zukunft ist während den Konsultationen ungewiss und kaum planbar.
Deswegen entscheiden sich viele häufig besser qualifizierte Angestellte, bereits in dieser Phase einen neuen Arbeitgeber zu suchen. Da sie das Unternehmen früher verlassen, muss der Konzern die betroffenen Stellen nicht streichen. Dies federt den Abbau ab.
Stellenabbau zugunsten der Aktionäre
Hinter den zu hohen Ankündigungen kann auch wirtschaftliches Kalkül stecken: «Gewisse Firmen machen das politisch, weil das einen Einfluss auf die Börsenbewertung hat», meint Christof Burkard vom Verband Angestellte Schweiz.
Die Aktienmärkte reagieren meist positiver auf einschneidende Sparmassnahmen. Einfach gesagt: Wer ankündigt, 50 Stellen zu streichen, kann die Aktionäre damit zufriedener stellen, als wenn schon zu Beginn ein Abbau von «nur» 30 Stellen kommuniziert würde.
Sei es wegen gelungener Gespräche, der üblichen Fluktuation oder dem Drang nach höheren Aktienkursen: Klar ist, dass Massenentlassungen die Angestellten häufig weniger schlimm treffen als befürchtet. Der flexible und durchlässige Schweizer Arbeitsmarkt sorgt zudem dafür, dass die Arbeitslosigkeit trotz Massenentlassungen nicht steigt. Dennoch: jene, die dem Abbau zum Opfer fallen, lassen sich so kaum trösten.