In einer Woche stimmt die Schweiz über die Altersvorsorge 2020 ab. Kein Thema dabei sind Erbschaften, obwohl sie oft helfen, die Jahre nach der Pensionierung abzusichern oder gar einen luxuriöseren Lebensstil zu pflegen. Allerdings: Wer wie viel erbt – dazu gibt es keine offiziellen Zahlen. Statistisch gesehen ist das Erben in der Schweiz ein blinder Fleck.
Nun zeigt eine exklusive Studie des Büro Bass im Auftrag der «Tagesschau»: Rund 63 Milliarden Franken betrug das Erbe im Jahr 2015. Das entspricht etwa 10 Prozent des Schweizers Bruttoinlandprodukts oder ist etwa gleich viel, wie der Bund pro Jahr einnimmt. Ein anderer Vergleich, der zeigt, wie riesig dieser Betrag ist: Durch Vererbung wechselt jährlich etwa gleich viel Vermögen die Hand, wie die privaten Haushalte im gleichen Jahr ansparen.
Verdoppelung innert 20 Jahren
Und vor allem: Die Nachlässe in der Schweiz haben massiv zugenommen. «Die Erbschaften haben sich über die letzten 20 Jahre ungefähr verdoppelt», sagt Projektleiter Mario Morger vom Büro Bass, das die Studie durchgeführt hat. «Ein Grund für den Anstieg ist, dass etwa die Immobilienpreise und die Wertschriftenvermögen sehr stark gestiegen sind und so die Menschen vermögender geworden sind – und dann entsprechend mehr vererben.» Es gibt aber noch andere Gründe:
Mit steigendem Alter steigen die Vermögen immer stärker, und es gibt eigentlich praktisch keinen Einknick bei den sehr hohen Altersgruppen.
Die älteren Leute verprassen ihr Vermögen also nicht. Im Gegenteil: Sie werden noch vermögender, je älter sie werden – zumindest im Durchschnitt. Ein weiterer möglicher Grund für den Anstieg des Erbes: Derzeit sterben viele Leute, die während Boomjahrzehnten nach dem Krieg erwerbstätig waren und so vom Wirtschaftsaufschwung profitiert hatten und nun entsprechend vermögend sind. Aufgrund der Datenlage sei es aber schwer, eine genaue Analyse zu machen, so Morger.
Klar aber ist: Die Erbschaften sind sehr unterschiedlich hoch und vor allem sehr ungleich verteilt. So beträgt der durchschnittliche Nachlass gemäss der Schätzung der Bass-Studie zwar rund 1 Million Franken. Anders sieht es aus, wenn man den Medianwert betrachtet. Dieser beträgt nur rund 170'000 Franken. Das heisst, die Hälfte aller Nachlässe liegt unter diesem Wert.
Viele erben wenig oder nichts
Ganz grundsätzlich gilt: Wenige erben viel, viele erben wenig. So betragen in 35 Prozent der Fälle die Erbschaften 0 bis 50'000 Franken, wobei diese erst meist noch auf mehrere Nachkommen aufgeteilt werden müssen (siehe Grafik). Diese Ungleichverteilung sei nachvollziehbar, sagt Morger: «Bereits die Vermögen sind sehr ungleich verteilt. So besitzen rund 2 Prozent der Schweizer Haushalte ungefähr 50 Prozent der Vermögenswerte. Und diese Ungleichheit schlägt sich dann auch in den Nachlässen nieder.»
Und für viele kommt es noch schlechter: Gemäss einer Erbschaftsstudie des Büro Bass von 2007 im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms geht mindestens ein Drittel der Bevölkerung leer aus beim Erben. Und es gibt viele Fälle, in denen sogar Schulden vererbt werden. Darum darf der riesige Betrag von 63 Milliarden Franken nicht darüber hinwegtäuschen, dass in der Schweiz zwar viel vererbt wird, die meisten aber nicht zu sehr mit einem Erbe rechnen sollten.