SRF News: Herr Wolter, jeder Vierte bricht in der Schweiz sein Studium ab. Wie lautet Ihre Meinung zu dieser Zahl?
Stefan Wolter: Die Zahl der Studienabbrüche in der Schweiz ist sicherlich zu hoch vor dem Hintergrund, dass wir nur einem relativ geringen Teil der Jugendlichen einen Hochschulzugang gewähren. Es sind 20 Prozent eines Jahrgangs. Von diesen 20 Prozent versuchen wiederum nur 80 Prozent ein Studium an der Universität, also ungefähr 16 Prozent eines Jahrgangs. Davon noch einmal ein Viertel zu verlieren – das ist zu viel.
Hinzu kommt noch, dass jeder Fünfte im Laufe seines Studiums den Fachbereich wechselt. Weshalb diese Unentschiedenheit?
Wir wissen aus einer Pilotstudie, dass der Studienfachwechsel kein zufälliges Ereignis ist. Man sieht, dass Studierende, die ein Studienfach wählen, das sehr weit entfernt ist vom Schwerpunkt, den sie schon am Gymnasium gewählt haben, eine höhere Wahrscheinlichkeit aufweisen, ein Studium abzubrechen oder ein Studienfach zu wechseln. Das bedeutet: Wenn man Ingenieurwissenschaften an der ETH studieren will, müsste man sich schon am Gymnasium entsprechend vorbereitet haben. Andernfalls sollte man von Anfang an ein anderes Studium wählen.
Welche Kosten verursachen Studienabbrüche und –wechsel?
Bei den Studienabbrüchen ist das sehr schwierig zu bestimmen, weil wir Abbrecher statistisch nicht nachverfolgen. Etwas einfacher ist es bei einem Studienfachwechsel. Ein Wechsel bringt in der Regel eine Verlängerung des Studiums um ein Jahr mit sich. Das bedeutet: Pro Jahr geht ein 3-stelliger Millionenbetrag verloren, den sie an Einkommen verdient hätten, wenn sie das Jahr nicht hätten zusätzlich studieren müssen.
Dazu kommt ein 2-stelliger Millionenbetrag für Ausgaben im Bildungswesen und auch entgangene Steuererträge. Wir sprechen über den Daumen gepeilt also von einer halben Milliarde oder mehr.
Wenn die Leute die Studiengänge nicht schaffen, nützt auch ein Inländervorrang nichts.
Abgesehen von den Kosten: Weshalb ist diese Unentschiedenheit überhaupt ein Problem?
Stichwort Fachkräftemangel. Bislang konnte das Problem über Einwanderung klein gehalten werden, aber inzwischen haben wir eine Masseneinwanderungsinitiative angenommen, die dort einen Riegel schieben soll. Stichwort Inländervorrang. Der Bedarf dieser Fachkräfte soll also im Inland gedeckt werden. Wenn die Leute, die wir im Bildungssystem für die Ausbildungsgänge vorbereitet haben, dann die Studiengänge nicht schaffen, dann nützt auch ein Inländervorrang nichts. Denn dann haben wir sie einfach im Inland nicht.
Wer könnte an dieser Situation etwas verändern?
Wo der grösste Handlungsbedarf ist, oder umgekehrt gesagt, wo die grösste Hebelwirkung ist, wenn man dort eine Massnahme ergreifen würde, weiss man im Moment noch nicht. Wir werden im Bildungsbericht 2018 erste Antworten vorlegen, aber sicher noch keine abschliessende.
Glauben Sie, man kann Studienabbrüche überhaupt verhindern?
Ja, ich denke, sie lassen sich verhindern. Das Beispiel USA zeigt: Wenn Topuniversitäten sich ihre Studenten ausgewählt haben, sind die Abbruchquoten nur ein Fünftel so hoch wie bei unseren vergleichbaren Universitäten. Das wird nicht nur an den Universitäten liegen, es liefert vielleicht auch einen Hinweise darauf, dass Studierende, denen es bewusset ist, dass sie etwas erhalten, was nicht jeder hat, sich besonders anstrengen.
Wären also Zulassungstests die Lösung?
Unser System ist bereits sehr selektiv beim Erteilen von Maturitäten. Man sollte nicht noch eine zweite Hürde einbauen und sagen, von ihnen kann nur ein Teil an die Uni. Aber man könnte etwas anderes als einen Zulassungstest einbauen – etwa Tests, mit denen Studierende selbst herausfinden können, ob sie die notwendigen Bedingungen mitbringen, um ein Studium zu bestehen.
Es kann nicht sein, dass ein Viertel nicht studientauglich ist.
Wie stehen die Universitäten zum Thema?
Die Universitäten haben natürlich auch ihre Verantwortung. Wenn man ihnen die 20 Prozent Besten eines Jahrganges gibt, kann es nicht sein, dass ein Viertel davon nicht studientauglich ist. In der Schweiz haben die Universitäten manchmal zu fest die Haltung: Wir haben uns ja die Leute nicht selber ausgewählt. Wenn sie zu schlecht vorbereitet sind aufs Studium, dann müssen wir sie rausselektionieren.
Wie viel Verantwortung liegt bei den angehenden Studenten selbst?
Es liegt doch ein rechter Teil auch bei den Studenten selber. Aus den Untersuchungen, die wir gemacht haben sehen wir, dass viele Studenten sich häufig die Gedanken erst dann machen oder auch erst Hilfe annehmen oder Informationen suchen, wenn der Schadensfall schon eingetreten ist. Es wäre besser, sie wären vor dem ersten Studium auf die Studienberatung gegangen als erst nach dem ersten Misserfolg.
Das Interview führte Manuela Siegert.