Es wäre wahnsinnig praktisch. Alle relevanten Krankendaten sind an einem Ort erfasst und von überall abrufbar: die Diagnose des Arztes, die Röntgenbilder, die verschriebenen Medikamente.
Doppelspurigkeiten könnten vermieden werden, Unverträglichkeiten wären aufgelistet. Im Notfall kann der Arzt mit einem Klick die medizinische Vorgeschichte des Patienten abrufen. Das schafft Transparenz, Sicherheit und spart Kosten.
Da erstaunt es, dass das elektronische Patientendossier, kurz EPD, nicht schon längst Wirklichkeit ist in der Schweiz.
Doppelte Freiwilligkeit
Die Teilnahme am EPD ist freiwillig, so will es der Gesetzgeber. Ärzte und Patienten können nicht dazu gezwungen werden.
Eine Pflicht besteht nur für stationäre Einrichtungen: Spitäler müssen bis zum 15. April 2020 dabei sein. Pflegeheime und Geburtshäuser zwei Jahre später.
Hausärzte bremsen
Unter den Ärzten herrscht wenig Begeisterung. Viele Hausärzte betreiben noch Zettelwirtschaft. Sie führen ihre Patientenakten von Hand und haben wenig Grund das zu ändern.
Fast die Hälfte der 11'000 Hausärzte steht in den nächsten 10 Jahren vor der Pension und scheut die Ausgaben für die Elektronisierung. 40'000 Franken kostet die Umstellung laut Yvonne Gilli vom Ärzteverband FMH.
Sie fordert Unterstützung vom Staat. Der Markt sei stark reguliert, rechtfertigt sie. Zudem würden auch die Spezialisten in den Spitälern unterstützt, da die Kantone 50 Prozent an den Spitalkosten tragen.
Darüber hinaus bezweifelt Yvonne Gilli den Nutzen des EPDs. «Als Kommunikationsinstrument und Entscheidungsinstrument von Ärztinnen wird das EPD im Anfangsstadium nicht hilfreich sein», erklärt sie im Wirtschaftsmagazin «ECO». Sie würden besser und schneller direkt miteinander kommunizieren anstatt über ein EPD.
Immerhin chronische Patienten könnten mit dem EPD ihre Unterlagen sammeln, doch ob die Mehrheit der Patienten mitmacht, sei alles andere als sicher. «Im den umliegenden Ländern (...) waren es die Patienten, die gar nicht den Wunsch hatten ein EPD zu eröffnen.»
Zwischen Angst, Scham und Nutzen
Tatsächlich bestehen in der Bevölkerung die Angst vor Hacking und Missbrauch der Daten. Die Meinungen darüber gehen weit auseinander.
Sicher ist: Versicherungen und Arbeitgeber haben laut Gesetz keinen Zugang zu den Daten, und die Datenhoheit liegt beim Patienten. Das heisst der Patient entscheidet, wer was lesen darf im EPD, und er kann Teile komplett sperren oder gar löschen.
Das mag ihn vor zudringlichen Augen schützen, vor allem, wenn es um Alkoholsucht geht oder stigmatisierte Krankheiten, aber die Vollständigkeit des Dossiers ist damit nicht mehr gegeben. Das EPD schafft insofern keinen Mehrwert gegenüber dem Ist-Zustand, der Arzt kann sich nicht darauf verlassen.
Einer allein macht noch kein Netzwerk
Die Spitäler sind die Speerspitze. Sie müssen als erste einen Zugang zum EPD gewährleisten. Grosse Spitäler wie das Unispital Basel verfügen längst über ein Kliniksystem, das sie mit den Daten ihrer Patienten füttern. Sie können ab Frühling 2020 diese Information ins EPD laden. Doch werden sie das EPD auch nutzen, wenn nur wenige Patienten eines haben?
«Dann werde ich natürlich nie jeden Patienten nachschauen gehen», erklärt Jens Eckstein, leitender Arzt am Universitätsspital Basel. «Ich glaube, dass es eine bestimmte kritische Masse braucht und das ist ein Drittel der Patienten.»
Daher ist klar: Ohne Hausärzte und ohne breite Aufklärung in der Bevölkerung wird in puncto EPD auch weiterhin wenig gehen in der Schweiz.