Eine schwache Brise aus Nordwest weht über dem Ärmelkanal, die Sonne brennt aufs Oberdeck. Es ist der 14. Juni 2021. Die CMA CGM Vasco da Gama liegt vor Southampton und wartet darauf, ihre Ladung im Containerhafen löschen zu können. Waren, die fürs englische Hinterland bestimmt sind.
Jede Positionsänderung des grossen Containerschiffs verfolgt hunderte Kilometer entfernt Beat Tobler an seinem Bildschirm im Industriegebiet von Möhlin im Kanton Aargau.
Tobler ist Seefracht-Manager für die Schweiz des Spediteurs Kühne+Nagel, eines der grössten Seefracht-Unternehmen der Welt. Er und sein Team sitzen in den Büros über einem Verteilzentrum und koordinieren Containerlieferungen rund um den Globus.
Er interessiert sich für einen bestimmten Container. Dieser befindet sich auf der CMA CGM Vasco da Gama und soll Pharmaprodukte von Singapur in die Schweiz transportieren. Der genaue Inhalt wie auch der Schweizer Kunde sind vertraulich.
Mit der Sendungsnummer hat Tobler den Container auf dem Schiff vor Southampton lokalisiert. «Es ist ein sogenannter 40-Fuss-Reefer-Container, ein grosser Container, dessen Temperatur reguliert werden kann. Deshalb ist er auf dem Schiff auch an den Strom angeschlossen.»
Unterwegs mit 9000 anderen Containern
Auf dem zweiten Bildschirm pflügen sich auf einer Weltkarte Tausende Mini-Schiff-Symbole durch die Ozeane. Eines sticht farblich aus dem Pulk von Schiffen im Ärmelkanal heraus: die Vasco da Gama.
Ein weiterer Mausklick offenbart die Details: «Die Vasco da Gama gehört der Reederei CMA CGM. Es ist ein Containerschiff mit knapp 18'000 TEU Kapazität.» Das heisst, es kann fast 9000 dieser grossen Container transportieren, 1400 haben Stromanschluss.
«Voraussichtlich morgen sollte das Schiff weiterfahren», stellt Spediteur Beat Tobler weiter fest. «Und gibt es keine weiteren Verzögerungen, wird es am 18. Juni in Antwerpen eintreffen.»
Die Vasco da Gama ist pünktlich unterwegs, mit weniger als zwei Tagen Verspätung. Das ist eher die Ausnahme, wie der Fachmann bestätigt. Wegen Vorfällen wie am Suezkanal oder geschlossener Häfen in Asien sind Verspätungen von mehreren Tagen oder gar Wochen mittlerweile die Regel.
Container sind zurzeit Mangelware
Seine Reise gestartet hat der Container am 14. Mai. Tobler schaut auf den Bildschirm: «Dann wurde er dem Absender bereitgestellt. Drei Tage später wurde er beladen von Kühne+Nagel übernommen und am 18. Mai am Terminal in Singapur angeliefert.»
Am 21. Mai um 9:43 Uhr wird der Container auf das Schiff verladen, sechs Stunden später verlässt die Vasco da Gama Singapur mit Ziel Antwerpen.
Die Container befinden sich immer zur falschen Zeit am falschen Ort.
Gebucht wurde dieser Containertransport gut einen Monat vor dessen Start. Es handle sich um eine Lieferung, die regelmässig anfalle.
Das macht die Koordination einfacher, denn Container sind derzeit Mangelware: «Die Container befinden sich immer zur falschen Zeit am falschen Ort», grinst Spediteur Tobler, vor allem die gesuchten, kühlbaren Reefer-Container. Da helfe man sich in der Branche auch unter Mitbewerbern gegenseitig aus.
Nun muss Beat Tobler die weitere Reise des Containers planen: «Über ein Online-Portal müssen wir ein Zeitfenster buchen, damit wir den Container vom Schiff übernehmen können.»
Oft würden solche Container auf ein Rheinschiff verladen oder per Zug in die Schweiz weitertransportiert. In diesem Fall wünscht der Kunde eine direkte Lieferung per Lastwagen. Tobler wird die nächsten Tage mit dem Kunden einen Termin vereinbaren, wann der Container geliefert werden kann
Containerverkehr bleibt anfällig
Am 25. Juni, kurz nach 13 Uhr, meldet sich Beat Tobler per Telefon: «Der Container wurde heute angeliefert, entladen und ins Depot nach Basel transportiert.» Alles hat geklappt. Diese Reise hat der Container abgeschlossen, die nächste dürfte bereits warten. Eine gekühlte Lieferung von Schokolade oder Käse – zurück nach Asien oder Richtung USA.
Das System funktioniert – zumindest derzeit. Unklar aber ist, wohin sich das Containergeschäft entwickelt. Immer mehr Unternehmen stellen sich nämlich die Frage, ob aufgrund von Umweltbedenken oder Liefersicherheit dieses weltweite Netz auch langfristig Sinn macht. Denn die Pandemie und Unfälle haben gezeigt: Die Containerschifffahrt ist zwar günstig und weltweit vernetzt, aber auch anfällig auf Störungen.