Die Arbeitskosten stiegen in der Schweiz in den letzten Jahren mit Peak 2012 stetig, bei mässigem Produktivitätswachstum. Muss uns das beunruhigen?
Es ist sehr besorgniserregend. Wenn die Löhne schneller steigen als das Produktivitätswachstum, steigen die Lohnstückkosten. Das wiederum macht die Schweiz als Arbeitsstandort weniger attraktiv.
Die Schweiz büsst also längerfristig an Wettbewerbsfähigkeit ein.
Zweifellos. Die Schweizer Exporteure kämpfen derzeit ohnehin mit dem starken Franken. Hohe Lohnkosten und ein überbewerteter Franken ergeben eine Mischung, die für den Arbeitsstandort Schweiz explosiv ist. Die gehäuften Meldungen von Personalabbau der letzten Wochen sind ein Alarmzeichen.
Warum steigen die Löhne immer weiter?
Das Lohnwachstum wird zum Teil getrieben durch die Binnenwirtschaft. Hier sind vor allem der Gesundheitssektor und der Bildungsbereich Lohntreiber. Gerade in letzterem Bereich ist aber die Produktivität klein. Gleichzeitig gibt es in vielen – auch exportorientierten – Berufen immer noch einen Fachkräftemangel, der sich dann in steigenden Löhnen niederschlägt. Allerdings dürften gerade jetzt die Löhne nur noch schwach steigen, da die Inflation heuer negativ ist.
Nicht nur die Löhne steigen, sondern auch die Sozialausgaben – und damit die Abgaben für diese. Was sind die Treiber?
Hier gibt es verschiedene Entwicklungen. Zum einen gibt es ältere Arbeitnehmer, die teilweise keinen Job mehr finden und ausgesteuert werden. Die Sozialausgaben steigen aber auch wegen der Flüchtlingskrise. Die Flüchtlinge dürfen zunächst nicht arbeiten und sind damit auf das Sozialamt angewiesen.
Wenn eine Wirtschaft neuartige und global gefragte Produkte herstellt, spielen die Lohnkosten eine weniger grosse Rolle.
Es fällt auf, dass die Löhne in den letzten Jahren vor allem im Kredit- und Versicherungsgewerbe, im Immobilien-, Informatik- und Dienstleistungsbereich sowie bei der öffentlichen Verwaltung auf hohem Niveau nochmals gestiegen sind. Ist das marktgerecht oder läuft da etwas falsch?
Diese Branchen sind vielfach auf Spezialisten angewiesen, die oft fehlen oder dann nur zu hohen Löhnen zu finden sind. Gleichzeitig gibt es gerade bei der öffentlichen Verwaltung aber auch wenig Konkurrenz und Wettbewerb. Je weniger ein Sektor der internationalen Konkurrenz ausgesetzt ist, desto kleiner ist der Druck auf die Löhne. Die Binnenwirtschaft ist zudem häufig auch durch Regulierungen abgeschottet.
Ist ein Produktivitätswachstum realistisch, um Lohnkosten zu senken?
Es ist in der Ökonomie umstritten, wie stark man die Produktivität fördern kann und welche Faktoren hier eine entscheidende Rolle spielen. Wichtig sind Innovationen. Wenn eine Wirtschaft neuartige und global gefragte Produkte herstellt, spielen die Lohnkosten eine weniger grosse Rolle.
Wir haben es mit einer schleichenden Verschlechterung der Attraktivität des Schweizer Standortes zu tun.
Die Schweiz ist doch ein sehr innovatives Land.
Schon, aber das Problem sind die Massenprodukte, die überall hergestellt werden können. Ihre Produktion wird oft verlagert. Das gilt übrigens immer mehr auch für austauschbare Dienstleistungen. Immer mehr Banken lagern ihre Personal- oder Buchhaltungsabteilungen nach Polen oder Indien aus. Dort verursachen sie einen Bruchteil der Kosten verglichen mit der Schweiz.
Innovativ sein ist also ein Schlüssel für die Schweiz. Trotzdem, wie kann das Land gleichzeitig Lohnkosten senken?
Lohnkosten senken ist problematisch. Die Löhne sind nach unten ziemlich fix. Man könnte die Lebenshaltungskosten senken. Dann würde die Kaufkraft auch bei stagnierenden Löhnen steigen. Dazu müsste allerdings der Detailhandel die Preise noch stärker senken. Auch die Landwirtschaftsprodukte, die in der Schweiz massiv teurer sind als im Ausland, müssten günstiger werden. Das ist nicht sehr realistisch.
Die wirtschaftliche Lage in der Schweiz ist also ernster, als es viele wahrhaben wollen. Ihr Fazit?
Wir haben es mit einer schleichenden Verschlechterung der Attraktivität des Schweizer Standortes zu tun. Das ist noch nicht dramatisch, aber es ist unbestreitbar, dass Arbeitsplätze abgebaut und ins Ausland verlagert werden. Dabei spielt der Franken eine wichtige Rolle, aber auch die Unsicherheit, wie es mit dem wichtigsten Handelspartner – der EU – weitergeht. Niemand weiss, ob künftig die Bilateralen noch Bestand haben oder wegfallen werden – und das sorgt für zusätzliche Unsicherheit. Unsicherheit ist aber für Investitionsentscheide tödlich. So vertagen viele Firmen ihre Investitionsentscheide in der Schweiz oder investieren gleich ganz im Ausland.
Das Gespräch führte Christa Gall.