Der Tod des früheren Premierministers Shinzo Abe nach einem Attentat schockt Japan. Das sagt der freie Journalist Martin Fritz. Er lebt in Tokio und erklärt, welche Bedeutung der Politiker für sein Land hatte.
SRF News: Ein Mann wurde nach dem Attentat auf Shinzo Abe festgenommen. Gibt es Hinweise auf die Hintergründe der Tat?
Martin Fritz: Der Mann, der festgenommen wurde, ist 41 Jahre alt, stammt aus der Stadt Nara, wo auch Abes Wahlkampfrede stattfand. Er trug teilweise Militärkleidung. Er hatte Abe von hinten oder von der Seite angeschossen und ist dann von Sicherheitskräften überwältigt worden. Auf den Bildern kann man eine doppelläufige, offenbar selbstgebaute Waffe sehen. Zwei Rohre sind mit Klebeband verbunden. Der Schusswaffengebrauch ist in Japan stark eingeschränkt. Es ist schwer, an eine Waffe zu kommen. Er hat sie vermutlich selber gebaut.
Er hat zweimal aus etwa drei Metern Entfernung auf Abe geschossen. Abe war dann noch kurz bei Bewusstsein und danach hat er offenbar schon einen Herzstillstand erlitten. Dann ist er mit einem Rettungshelikopter in die Universitätsklinik von Nara geflogen worden. Dort hat er noch mehrere Bluttransfusionen bekommen. Aber nach fünf Stunden haben es die Ärzte dann aufgegeben, sein Leben zu retten.
Weiss man schon mehr über das Motiv des Schützen?
Man könnte denken, dass die Tat damit zusammenhängt, dass er zwischen 2002 und 2005 einmal Berufssoldat bei der japanischen Marine war. Daher wahrscheinlich auch sein Waffen-Know-how. Aber über ihn liegen keinerlei polizeilichen Einträge vor. Und am Tatort soll er laut dem Sender NHK gesagt haben, er sei unzufrieden mit dem Verhalten von Abe gewesen und habe daraufhin beschlossen, ihn zu töten. Er habe auch keine politischen Motive gehabt. Die Tat scheint derzeit völlig sinnlos.
Wie wichtig war Abe für die japanische Politik?
Abe war sicherlich der bedeutendste und wichtigste Politiker des Landes. Er machte Wahlkampf für seine Liberaldemokratische Partei. Er hatte Japan acht Jahre lang selbst regiert. Seit zwei Jahren ist er nicht mehr an der Macht, offiziell aus gesundheitlichen Gründen. Aber er ist nur zurückgetreten, weil damals mehrere Skandale übergekocht sind. Trotz seiner Darmkrankheit hat er sich zur mächtigsten Figur hier entwickelt.
Er verhinderte, dass sein politisches Erbe kritisiert und korrigiert wird. Er kontrollierte die grösste Gruppe von Abgeordneten in der LDP, die Japan seit 70 Jahren dominiert. Viele Beamte verdanken ihm den Job. Auch Premier Fumio Kishida wurde mit seiner Hilfe zum Parteivorsitzenden gewählt. Zuletzt hatte Abe sich für eine starke Erhöhung der Verteidigungsausgaben eingesetzt und damit auf den russischen Angriff auf die Ukraine reagiert. Das war natürlich kontrovers.
Für welche Politik stand Abe?
In seinen acht Jahren an der Macht hat er Japan einerseits nach rechts gesteuert. Er hat die pazifistische Verfassung neu interpretiert, sodass die japanischen Streitkräfte jetzt ihren Bündnispartner, die USA, auch unterstützen dürfen, wenn es keinen direkten Angriff auf Japan gibt.
Abe hat Japan so weit wie nie zuvor für ausländische Investoren, Touristen und Arbeitskräfte geöffnet.
Aber andererseits hat er sich für eine neoliberale Wirtschaftspolitik, die sogenannten Abenomics, eingesetzt. Grosszügige Staatsausgaben, eine extrem lockere Geldpolitik sollten das Wachstum ankurbeln. Damit hatte Abe Japan so weit wie nie zuvor für ausländische Investoren, Touristen und Arbeitskräfte geöffnet. Damit hat er in den letzten zehn Jahren einen sehr grossen Einfluss auf die japanische Politik gehabt.
Das Gespräch führten Nina Gygax und Brigitte Kramer.