Anne Lüscher und Niki Kobert machen sich nichts vor: Es wird eine strenge Zeit im Wallis, verbunden mit viel Verantwortung. «Wenn dort etwas nicht richtig funktioniert, sind vielleicht 1.5 Millionen Impfdosen kaputt, und gewisse Verträge können nicht mehr erfüllt werden», sagt Kobert an einem seiner letzten Tage im Labor in Zürich. Er ist Laborleiter und Dozent am ETH-Institut für Chemie und Bioingenieurwissenschaften.
Lüscher ist Doktorandin mit Erfahrung im Impfstoff-Bereich. Beide werden das nächste halbe Jahr in Visp verbringen. ETH-Forschende mit laufenden Verträgen, die alles stehen und liegen lassen, um Impfstoffe zu produzieren? Der Bund hatte sich Ende April in die Diskussion um den Fachkräftemangel bei Lonza eingeschaltet und in der Verwaltung, bundesnahen Betrieben und den eidgenössischen Hochschulen nach Fachpersonal gesucht.
Der Professor, der alles aufgleist
Ende April hatte Professor Wendelin Stark am besagten Institut dafür sein Team zusammengerufen: «Es gibt derzeit nichts Relevanteres, als Impfstoffe herzustellen. Also lehnte ich mich aus dem Fenster und sagte: ‹Wir machen das, und ich sorge dafür, dass nichts zu Eurem Schaden ist, sondern Euch etwas bringt›».
Es gibt derzeit nichts Relevanteres, als Impfstoffe herzustellen.
Zwei Tage später fuhr Stark mit rund 30 Personen nach Visp, wo sie mit offenen Armen empfangen wurden. Denn Lonza braucht dringend Personal. Mindestens 1200 neue Jobs werden alleine dieses Jahr in Visp geschaffen, davon 200, um die Impfstoff-Produktion für Moderna zu verdoppeln.
Lonza sucht Fachkräfte
Dafür fragte Renzo Cicillini, Standortleiter in Visp, Firmen und Organisationen für die befristete Anstellung von Fachkräfte an: «Einerseits gibt es Unternehmen, die gerne helfen. Andererseits sind manche auch froh, wenn sie Mitarbeitende vorübergehend oder längerfristig abgeben können.»
Derzeit liegen einige Dossiers auf seinem Tisch, darunter 30 vom Labor Spiez und Agroscope, und 50 von der ETH Zürich und Lausanne. Angaben zu Privatunternehmen kann er keine machen.
Die ETH-Forschenden haben im Juni in einem Hotel in Brig Zimmer bezogen. Stark hatte darauf gepocht, dass Lonza die Unterkünfte organisiert und die Fachleute gleich viel verdienen wie bestehende Mitarbeitende.
Es gibt unendlich viele Gründe, dass so etwas nicht zustande kommt.
Es sei sehr wichtig, dass an den richtigen Stellen Menschen sind, die das Ganze anreissen und sich gegen Widerstände durchzusetzen, sagt Kobert. «Sonst gibt es unendlich viele Gründe, dass so etwas nicht zustande kommt.»
Training mit Computerbrillen
Bevor die neuen Fachkräfte in der Produktion mitarbeiten können, müssen sie trainieren. Mit Computerbrillen werden sie mittels Virtual Reality ins Labor versetzt, üben Handgriffe und verinnerlichen so Bewegungsabläufe.
Qualität und Sicherheit sind Zwillingsschwestern, die sind nicht verhandelbar.
Dieses Training verringere die Fehlerquote um bis zu 80 Prozent, sagt Cicillini: «In der Pharmaproduktion sind Qualität und Sicherheit Zwillingsschwestern, die sind gar nicht verhandelbar.»
Nach sechs Monaten ist Schluss
Bis die Forschenden operativ sind, werden in der Schweiz wohl die meisten geimpft sein. Aber die Zeit dränge, es gebe noch Milliarden Menschen, die auf eine Impfung warten, sagt Stark. «Wenn es keine Gebäude oder Rohmaterialien gibt, ist das eines. Aber wenn es nur daran liegt, dass man zu wenig Leute hat, dann muss man so schnell wie möglich vorwärtsmachen – denn diese Leute gibt es irgendwo.»
Kobert und Lüscher werden Ende Jahr an die ETH zurückkehren; um eine strenge und vermutlich einmalige Erfahrung reicher.