Eines dominiert bei allen Wirtschaftsverbänden: Die Überraschung. Zwar wurde da und dort damit gerechnet, dass die Nationalbank irgendwann die Untergrenze zum Euro anpassen könnte. Aber dass der Mindestkurs heute fallen würde, dachte niemand.
Auch nicht Rudolf Minsch, Chefökonom des Wirtschaftsdachverbandes Economiesuisse: «Überraschend ist vor allem der Zeitpunkt. Insbesondere, weil es in der Eurozone gärt. Wir haben verschiedene Unsicherheiten. Und vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass der Wechselkurs überschiesst.»
Auch die Binnenwirtschaft betroffen
Klar ist: Die Freigabe der Untergrenze von 1.20 Franken zum Euro bringt die Realwirtschaft in Probleme. Der Eurokurs ist kurz nach Bekanntwerden deutlich gefallen.
Das stelle die gesamte Schweizer Wirtschaft vor grosse Probleme, sagt Minsch: «Es ist nicht nur die Exportindustrie, die natürlich direkt unter einer massiven Aufwertung des Frankens zu leiden haben wird. Auch Zulieferer für die Exportbetriebe und die Binnenwirtschaft, die durch stärkere Konkurrenz aus dem Ausland gefordert sein wird, haben schwierige Zeiten vor sich.»
Die Sorgen der Exportwirtschaft
Vor allem aber bangt die Exportwirtschaft. Schweizer Produkte werden teurer. Das betreffe auch die Schweizer Maschinen-, Elektro- und Metallindustrie, sagt Verbandssprecher Ivo Zimmermann: «Unsere Branche exportiert rund 60 Prozent ihrer Güter nach Europa. Mit der zunehmenden Überbewertung werden die Margen, die eh schon vergleichsweise tief sind, vollkommen wegschmelzen. Mittelfristig wird das existenzbedrohend sein.»
Besorgt sind auch Vertreter der Uhrenindustrie, die laut Angaben des Schweizerischen Uhrenverbandes 95 Prozent ihrer Produkte exportiert. Der SNB-Entscheid treffe die Branche in einer schwierigen Phase, sagt Verbandspräsident Daniel Pasche.
Die Absätze in den Hauptmärkten Deutschland und Frankreich seien bereits stark rückläufig. Darüber hinaus hapere es auch in Asien. Was nun geschehe, drehe die Uhr drei Jahre zurück.
Auch die nach eigenen Angaben grösste Exportindustrie der Schweiz, die Chemie-, Pharma- und Biotechindustrie, rechnet mit einer Trübung der Wachstumsaussichten. Fraglos werde sich die preisliche Wettbewerbsfähigkeit der Exporte verschlechtern, schreibt der Verband Sciencenindustries in einer Mitteilung.
Angst vor Einbruch der Touristenzahlen
Gross sind auch die Sorgen der Tourismusbranche. «15 Prozent Verteuerung des Frankens, wie wir sie jetzt sehen, heisst eine massive Verteuerung des Ferienlandes Schweiz», sagt Hotelleriesuisse-Chef Christoph Juen.
Sollte das jetzt erreichte Kursniveau andauern, erwartet er, dass die Nationalbank weitere flankierende Massnahmen trifft. «Denn wir müssen unbedingt darauf achten, dass der Kurs sich irgendwann unwesentlich unter 1.20 einpendeln wird.»
Alarmiert ist auch der Detailhandel. Laut einer Migros-Sprecherin ist es durchaus möglich, dass nun noch mehr Schweizer ihre Einkäufe im Ausland machen werden.
Auch die Gewerkschaften äussern schlimme Befürchtungen. Unia sieht tausende Arbeitsplätze in Gefahr. Sie sei über den SNB-Entscheid «konsterniert», schreibt sie. Nun sei der Frankenspektulation Tür und Tor geöffnet. Auch Travail Suisse fürchtet einen «Kahlschlag bei den Stellen».
Hausaufgaben gemacht
Unabhängig von den aktuellen Befürchtungen haben sich die Schweizer Firmen seit der Einführung der Untergrenze vor gut drei Jahren langsam aber sicher auf den Euro-Kurs von 1.20 eingestellt.
Trotz der überraschenden Ankündigung der SNB sei das Gewerbe insgesamt bereit für die neue wirtschaftliche Situation, sagt Hans-Ulrich Bigler, Direktor des Schweizer Gewerbeverbands. Schwierig sei es aber für die Exportbranche. «Wir haben jetzt wieder flexible Wechselkurse und damit das unternehmerische Risiko, wie wir das vor der Einführung des Mindeskurses auch schon hatten.»
Schweizer Firmen stehen aber immer noch gut im Rennen, und die Wirtschaft steht solide da. Doch jetzt muss sie sich auf die neue Situation einstellen.