SRF: Firmenübernahmen gehören zur Marktwirtschaft. Wenn Besitzer ihre Mehrheit nicht mehr wollen, sind sie frei, ihren Anteil zu verkaufen. Wo liegt im Fall Sika das Problem?
Gregor Greber: Das stimmt. Ein Grossaktionär hat das Recht, mit seinem Aktienpaket zu machen, was er will. Doch dabei muss etwas Wichtiges beachtet werden: Jede Firma geht freiwillig an den Kapitalmarkt und damit an die Börse. Wer also zum Tanze lädt, sollte sich auch anständig von den anderen Tanzpartnern verabschieden. Das passiert in diesem Fall nicht. Es ist lediglich die Besitzerdfamilie, die ihren Anteil für eine bestimmte Prämie verkaufen kann. Alle anderen Aktionäre werden nicht abgegolten.
Das hat damit zu tun, dass es unterschiedliche Aktienkategorien gibt. Das gibt es auch bei vielen anderen Schweizer Unternehmen, etwa bei Swatch oder Roche. Das sind sehr erfolgreiche familienbeherrschte und börsenkotierte Unternehmen. Stellt der Fall Sika dieses Erfolgsmodell in Frage?
Nein. Es stellt sich nicht die Kontrollfrage, ob ein Familienaktionär gut oder schlecht ist. Der Publikumsaktionär sollte aber gut beraten sein, jeden Aktionär in seiner Funktion zu hinterfragen. Ist er wirklich der liebe Götti, der alles für die Publikumsaktionäre macht? Oder vereinnahmt er das Recht auf eine grosse Kontrollprämie, indem er sämtliche Publikumsaktionäre aussen vor lässt? So wie das jetzt im Fall Sika geschehen ist.
Wie kann man diese Ausgangslage verbessern?
Wir plädieren seit Jahren für eine Aktionärsdemokratie. Voraussetzung dafür ist, dass das Kapital und das Stimmrecht gleichauf sind, dass also Aktionäre an der Generalversammlung ihren Willen durch die Wahrnehmung der Stimmrechte äussern können.
Dass sie also nach dem Governance Grundsatz «one share - one vote» funktionieren?
Ja. Aber nicht mit irgendwelchen Sonderrechten, wo die Willkür weiter fortgesetzt werden kann.
Über 16‘000 Mitarbeiter arbeiten für Sika. Mehr als 100 Jahre lang hat die Gründerfamilie dem Unternehmen die Treue gehalten. Ist der Verkauf an die Franzosen, an die Saint-Gobain-Gruppe, ein Vertrauensbruch?
Ich denke schon. Es wirkt ja schon fast paradox, wenn die Familie das Aktienpaket an einen neuen Aktionär weiterverkauft und am gleichen Tag die unabhängigen Verwaltungsräte und das gesamte Management mitteilen, dass sie zurücktreten werden, sobald die Transaktion abgeschlossen ist. Das ist ein starkes Zeichen gegenüber der ganzen Belegschaft, wie das Top-Management diesen Deal und die Behandlung der Aktionäre beurteilt. Mich würde es nicht überraschen, wenn dieses Kapitel noch nicht zu Ende geschrieben ist.
Das Interview führte Jan Baumann.