«ECO»: Theo Wehner, «ECO» porträtiert in einer dreiteiligen Serie Manager und Unternehmer, die trotz ihrer angesehenen Position entschieden haben, diese aufzugeben und ihrer Karriere einen Richtungswechsel zu geben. Eine Veränderung bei beruflichem Erfolg: Das klingt zuerst einmal verwirrend.
Theo Wehner: Das mag auf den ersten Blick überraschen. Bei genauerem Hinsehen jedoch lassen sich solche Wechsel durchaus erklären. Der Mensch ist ein Sinn-generierendes Wesen. Wir machen eine bestimmte Arbeit, weil wir sie als sinnvoll erachten. Ist dies nicht mehr gegeben, suchen wir die Sinnerfüllung in einer neuen oder einer zusätzlichen Aufgabe. Das kann ein Hobby, Freiwilligenarbeit, ein Berufswechsel oder gar ein vollkommener Ausstieg sein.
Stiftet denn beruflicher Erfolg in unserem vorherrschenden Wertesystem nicht Sinn genug?
Was wir als Sinn-erfüllend werten, ist sehr subjektiv – und kann sich deshalb auch verändern. Das kann in jüngeren Jahren der berufliche und, damit einhergehend, der finanzielle Erfolg sein. Mit anfangs, Mitte 50 jedoch beginnen wir vermehrt, uns grundlegende Gedanken zu unserem Schaffen zu machen. Wir fragen uns: Was hinterlasse ich? Und darauf aufbauend: Bleibe ich in meiner aktuellen Lebenssituation, auch beruflich, oder beginne ich nochmals etwas Neues?
Ab Anfang 50 fragen wir uns zunehmend: Was hinterlasse ich?
Das kann dann in die viel zitierte Midlife Crisis führen…
Wobei Krise nicht nur etwas Negatives ist, sondern auch Chancen bietet. Man hält inne und reflektiert. Dies ermöglicht, Begonnenes abzuschliessen, Lebensabschnitte «abzurunden». Es gibt nichts Schlimmeres, als wenn man mit sich nicht ins Reine kommt. Dann besteht die Gefahr der Stagnation und Verzweiflung, eines Burn-outs, einer Depression.
Wer darunter leidet, hat es also verpasst, rechtzeitig etwas in seinem (Berufs-)Leben zu verändern.
Solche Personen vermögen nicht mehr von sich aus, sondern erst über den (Um-)Weg der Krise oder Krankheit die nötigen Veränderungen vorzunehmen. Dabei hätte womöglich gerade ihnen ein frühzeitiger Wechsel gut getan.
Bei den von «ECO» porträtierten Führungskräften ist jedoch nur gerade eine Person älter als 50. Sie hat wegen einschneidender Veränderungen in ihrer Branche einen Neuanfang gewählt. Die anderen Personen sind jünger.
Das macht die Beispiele besonders spannend. Diese Personen haben von sich aus gehandelt. Ihre Wechsel sind sogenannt intrinsisch motiviert, also von innen heraus und der Sache wegen. Das Gegenteil wäre eine Veränderung mit extrinsischen Motiven, etwa durch den Lohn oder einen erhofften Statusgewinn. Je weniger die Berufstätigen in ihrer Tätigkeit Sinn erkennen, desto mehr benötigen sie zur Kompensation solche äusseren Anreize.
Beharrung besonders dann, wenn der ‹Change› von aussen gefordert wird.
Verändern sich Arbeitnehmende denn gerne?
Jein, der Mensch hat ein ambivalentes Verhältnis zu Veränderungen. Einerseits sucht und braucht er sie, andererseits will er Kontinuität und Sicherheit. Wir entwickeln vor allem dann Beharrungsvermögen, wenn der «Change» von aussen gefordert wird.
Wie verhält es sich mit hohen Hierarchiestufen im Vergleich zu eher «niederschwelligen» Profilen: Sind Führungskräfte weniger bereit für eine zweite Karriere, weil sie aufgrund ihres Status‘ und Verdiensts mehr zu verlieren haben?
Vielleicht haben sie aus dieser Warte mehr zu verlieren. Sie haben aber auch mehr zu gewinnen. Denn Mitgliedern hoher Kaderstufen vertraut man viel schneller am neuen Platz als weniger qualifizierten. Ihnen nimmt man den Wechsel stärker ab, weil wir vermuten, solche Führungskräfte hätten sich mit der beruflichen Veränderung stärker beschäftigt – in der Annahme, sie müssten bei einem Neuanfang einen höheren Preis bezahlen.
Gibt es auch Geschlechter-spezifische Unterschiede?
Ja, Frauen sind in der Regel sicherheitsbedachter. Männer dagegen sehen im Eingehen von Risiken eine grössere Selbstverständlichkeit. Das hat man auf anderer Ebene ja auch in der Finanzkrise gesehen…
Und wie fällt Ihr Vergleich zwischen den Generationen aus?
Bekanntlich sind die Zeiten, dass man 40 Jahre im gleichen Beruf, ja Betrieb verweilt, grossmehrheitlich vorbei. Die letzten beiden Generationen haben einen Wertewandel vollzogen: Sie erachten Wechsel als etwas Positives, Mutiges, das belohnt werden soll. Wer heute die Stelle wechselt, gewinnt an Ansehen. Wechselwillige erhalten Vorschusslorbeeren, weil sie in der öffentlichen Wahrnehmung etwas wagen.
Bei so vielen Wechseln kann aber nicht mehr jede Veränderung einen Aufstieg auf der Karriereleiter bedeuten.
Das ist in den Augen der 30- bis 40-Jährigen auch nicht mehr nötig. Die sogenannte Generation Y ist anders sozialisiert. Das gilt auch für Wechsel auf derselben Hierarchiestufe. Neuerdings gibt es also auch horizontale Aufstiege.
Zum Schluss: Was raten Sie Personen, die sich Gedanken zu einem Richtungswechsel in ihrem Berufsleben machen?
Sie sollten mit möglichst vielen Menschen darüber sprechen, weil heute – wie erwähnt – die Auseinandersetzung mit beruflicher Veränderung positiv bewertet wird. Doch bevor man sich zu einem Wechsel entschliesst, sollte man unbedingt zu Ende führen, was man tut – «Gestaltschliessung» nenne ich das. Nur nach einem sauberen Wechsel ist man bereit für Neues. Sonst kann das Vorhaben zu einer Art Flucht verkommen. Und das holt einen früher oder später wieder ein.
Das Interview führte Silvan Lerch.