Das Nachbeben der Abstimmung in Grossbritannien war bis ins schicke Hotel Bellevue Palace in Bern zu spüren: Hier traf sich die Finanzbranche am Dienstag zum dritten Mal am Swiss International Finance Forum (SIFF). Und der Brexit war zentrales Thema in Referaten von Politikern und Finanzexperten. Das Forum steht unter dem Motto «Back to Growth».
«Austritt ist Austritt»
Nicht persönlich anwesend war der deutsche Finanzpolitiker und Abgeordnete des Europäischen Parlaments, Burkhard Balz. Er musste seine Teilnahme wegen einer ausserordentlichen Plenarsitzung in Brüssel kurzfristig absagen, äusserte sich aber in einer Videobotschaft. «Austritt ist Austritt», sagte er zur Abstimmung in Grossbritannien. Das Land müsse nun rasch Austrittsverhandlungen aufnehmen.
Die Glaubwürdigkeit des EU-Konstrukts ist infrage gestellt
Frust über eigene Existenz entschied mit
Ähnlich Alexis P. Lautenberg, Vorsitzender des Swiss Finance Council: Wenig zukunftsträchtig sei das Szenario einiger Brexit-Befürworter, wonach Grossbritannien nun einen besseren Deal mit der EU aushandeln könnte, um danach nochmals abstimmen zu lassen.
Gleichzeitig mahnte er zur Zurückhaltung. Die EU müsse der britischen Seite nun Zeit geben, über die Bücher zu gehen, um selber zu entscheiden, was sie genau wolle. «Zumindest ein Teil des Resultats hat wenig mit der EU zu tun, sondern vielmehr mit dem Frust über die eigene Existenz», sagte er. Man könne von London in der jetzigen Situation nicht verlangen, innerhalb weniger Tage Austrittsverhandlungen aufzunehmen.
«Kein Lehman-Moment»
Aymo Brunetti, Professor für Wirtschaftspolitik an der Universität Bern, stiess ins gleiche Horn: Um die Folgen eines Brexit abschätzen zu können, gelte es zuerst zu klären, wie genau die EU künftig funktionieren werde. Für Brunetti ist denn auch klar, dass die Auswirkungen mittel- bis langfristiger Natur sein werden.
Als positiv beurteilte er trotz der kurzfristigen Verwerfungen die Reaktion der Märkte. «Ein Lehman-Moment ist nicht aufgetreten». Dies sei damit zu erklären, dass Grossbritannien kein Euroland sein. Ein Austritt eines solchen wäre ein anderes Kaliber und würde zu länger andauernden Erschütterungen führen, prognostizierte Brunetti.
Zinsen könnten zu lange zu tief bleiben
Was dem Wirtschaftswissenschaftler neben eines potenziellen Austritts eines Landes aus der Währungsunion ebenfalls Sorge bereitet, ist die Auswirkung des Brexit-Votums auf die Politik der Notenbanken. Die Normalisierung der Geldpolitik dürfte sich nun weiter verzögern und die Fed noch länger zuwarten lassen mit der dringend nötigen weiteren Zinserhöhung.
Das sei ausserordentlich problematisch. Denn eine solche Verzögerung könnte die Schuldenproblematik weiter in den Hintergrund rücken. Dabei sei klar, dass die Antwort auf die Verschuldung in strukturellen Reformen liegen müsse und nicht in Mehrausgaben, so Brunetti.