Die Schweiz kann bei den Verhandlungen über das transatlantische Freihandelsabkommen TTIP nicht mitreden, obschon sie davon unmittelbar betroffen ist. Denn hier verbünden sich zwei der wichtigsten Handelspartner der Schweiz:
- Die EU ist mit Abstand der Absatzmarkt für Schweizer Unternehmen. Rund 55 Prozent aller Schweizer Exporte gehen in EU-Länder (120 Milliarden Franken).
- In die USA gehen 12 Prozent aller Exporte der Schweiz (26 Milliarden Franken).
Die Schweizer Export-Industrie könnte unter enormen Druck kommen, wenn die EU und die USA schon die Zölle abschaffen. Wenn europäische Unternehmen zollfrei in die USA liefern können, haben die Schweizer Unternehmen einen schwerwiegenden Wettbewerbsnachteil. Auch der Handel mit den EU-Ländern könnte beeinträchtigt werden.
Benachteiligte Schweizer
Die Stellung der Schweizer Anbieter von Produkten und Dienstleistungen im europäischen Markt würde durch das TTIP-Abkommen geschwächt werden, schreibt Charlotte Sieber-Gasser von der Universität Bern in einer Analyse. Schweizer Industrieprodukte könnten plötzlich verstärkt Konkurrenz aus den USA erhalten.
Gleiches gilt im US-Markt: Schweizer Produkte und Dienstleistungen erhielten direkte Konkurrenz aus der EU, schreibt Sieber-Gasser. Im US-Markt sind das nicht zuletzt die vielen, kleinen, innovativen Auto-Zulieferer, die die Schweizer Industrielandschaft prägen.
Dabei haben die Schweizer Export-Unternehmen bereits mit den Nachteilen des starken Frankens zu kämpfen: Produkte «Made in Switzerland» haben in der Euro-Zone einen schweren Stand. Viele Exporteure versuchen deshalb, den Absatzrückgang in Europa wenigstens mit vermehrten Exporten in die USA zumindest teilweise zu kompensieren.
Textil-Industrie betroffen
Die Nachteile sind je nach Branche unterschiedlich gross, wie der frühere ETH-Professor und Aussenhandels-Experte Richard Senti im vergangenen Herbst in einem Buch festgehalten hat. Demnach könnte die Maschinen-Industrie weniger stark betroffen sein, da hier die Zölle bereits heute tief oder gar nicht mehr vorhanden sind.
Anders sieht es laut Senti im Textil- und Bekleidungssektor aus: Die EU und die USA schlagen an ihren Grenzen nach wie vor Zölle auf importierte Waren. Fielen diese über Nacht weg, würden Schweizer Firmen erheblich benachteiligt.
Ein einfacher Weg für betroffene Firmen, diesen Schwierigkeiten zu begegnen, ist der Wegzug ins europäische Ausland.
Ebenso wichtig wie die Abschaffung von Zöllen ist die geplante Harmonisierung von Normen, beispielsweise Sicherheitsanforderungen für Maschinen oder Lebensmittel. Sollten die EU und die USA ihre Vorgaben gegenseitig anerkennen, stünde die Schweiz auch hier abseits.
Selbst wenn Schweizer Unternehmen die EU-Anforderungen zu hundert Prozent erfüllen, um ihre Produkte dort zu verkaufen: Im US-Markt würde ihnen auch das «EU-Gütesiegel» nichts nützen, weil die Schweiz nicht TTIP-Vertragspartnerin ist.
Davon betroffen wären beispielsweise die wichtigen Medizinaltechnik-Firmen, die zumeist in Nischen tätig sind.
Unklar ist, ob auch die Arbeitsmärkte liberalisiert werden. Richard Senti weist in seinem Buch darauf hin, dass dann EU-Bürger in den USA bevorzugt würden, umgekehrt würden US-Bürger in Europa bevorzugt – beides zum Nachteil von Schweizerinnen und Schweizern.
Widerstand der Bauern
Ein Abseitsstehen bei TTIP würde der Schweizer Industrie schaden. Das genaue Ausmass allfälliger Absatz-Einbussen lässt sich freilich nicht abschätzen, solange nicht klar ist, auf was genau sich die EU und die USA einigen.
Wirtschaftsminister Johann Schneider-Ammann hat dennoch verschiedentlich durchblicken lassen, dass er es begrüssen würde, wenn die Schweiz noch aufspringen könnte. Doch selbst wenn dies technisch möglich wäre: Allen voran die Bauern-Lobby würde wohl alles daran setzen, um das zu verhindern, damit der Schweizer Markt von US-Produkten abgeschottet bleibt.
Am Widerstand der Bauern sind bereits 2006 Verhandlungen zwischen der Schweiz und den USA über ein Freihandelsabkommen gescheitert.
Abwanderungs-Gefahr
Den Schweizer Industrie-Unternehmen bliebe dann noch ein Ausweg: die Verlagerung der Produktion und allenfalls auch des Firmensitzes in ein EU-Land. Dann kämen sie in den Genuss des vollen Zugangs zum europäischen Binnenmarkt und des privilegierten Zugangs zum amerikanischen Markt, schreibt Handels-Expertin Charlotte Sieber-Gasser von der Universität Bern in ihrer Analyse.
Wegen des starken Frankens stehen bereits heute viele Unternehmen vor der schwierigen Frage, ob sie Teile der Produktion ins günstigere Ausland verlagern. Ein umfassendes Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA, sofern es denn zustande kommt, könnte diese Entwicklung noch beschleunigen.