Gemäss Zahlen des Bundes erkranken jährlich 25 000 Personen an Demenz, diese werden meistens von Familienangehörigen zu Hause gepflegt. In der Schweiz fehlt es jedoch an genügend Entlastungsmöglichkeiten für Angehörige und so sind viele Pflegende irgendwann mit der Situation überfordert. Seit knapp zehn Jahren bietet die Bäuerin und Pflegefachfrau Luzia Hafner Ferien und Tagesaufenthalte auf ihrem Bauernhof an. Die Demenzkranken, oder «Gäste», wie sie Luzia Hafner liebevoll nennt, können bei alltäglichen Arbeiten im Haus und auf dem Hof mithelfen. «Jeder Mensch braucht Wertschätzung und Anerkennung, auch solche mit einem Handicap. Indem sie bei nützlichen Arbeiten wie kochen und bügeln mithelfen können, erhalten sie wieder einen Sinn im Leben und somit auch Wertschätzung», erklärt Luzia Hafner.
Aufmerksamkeit ist das A und O beim Umgang mit Dementen
Wahrscheinlich erinnern sich die Gäste am Abend nicht mehr daran, wie sie am Morgen gemeinsam die Hühner gefüttert und Rüebli geschnitten haben. Darum gehe es auch nicht, erklärt Luzia Hafner, während sie einem Gast einen Kaffee bringt. «Wichtig ist, die Betroffenen im Augenblick abzuholen. Der Gast soll nie sich selbst ausgesetzt sein, das kann zu Aggressionen führen», sagt Luzia und schaut prüfend durchs Wohnzimmer. Acht Gäste sind heute zu Besuch, sitzen um den grossen Tisch im Wohnzimmer und helfen beim Guezlen mit. Jeder so gut, wie er kann. Mehr kann sie momentan nicht aufnehmen, weil die Infrastruktur nicht ausreicht. Für diese drei Tages- und fünf Feriengäste sind stets drei Betreuerinnen im Einsatz aus einem über 20-köpfigen Team. Eine Pflegeausbildung sei nicht zwingend, findet Luzia Hafner, viel wichtiger seien hauswirtschaftliche Fähigkeiten und «ein Gespür für Menschen».
Den Gästen gefällts – meistens
Auffallend ist die gute Stimmung auf dem Hof Obergrüt. Der Tagesgast Jakob Witter war auch schon für zwei Wochen hier in den Ferien und freut sich jedes Mal aufs Neue: «Ich komme gerne hierhin. Es ist einfach eine Abwechslung.» Die Arbeit mit den Tieren auf dem Hof lassen bei den Gästen zum Teil sogar Kindheitserinnerungen aufleben. So erinnert sich Emil Bürkler beim Hühnerfüttern plötzlich daran, wie er als Kind für diese Arbeit zuständig war und erzählt danach von seiner Primarschulzeit.
Manchen Gästen fällt es jedoch auch schwer, die Familie für einen Tag zu verlassen. Rita Häfliger würde am liebsten immer zu Hause bei ihrer Schwester sein und sie versteht nicht, warum sie den Tag auf dem Hof Obergrüt verbringen muss. «Deine Schwester braucht auch mal Zeit für sich», erklärt ihr Luzia Hafner liebevoll und lobt Rita sogleich für ihre gute Arbeit beim Bügeln.
Entlastung wichtig für Angehörige
Luzia Hafner sieht ihr Angebot als Vorstufe oder Ergänzung zum Heim an: «Einerseits können Angehörige und Gäste langsam das Loslassen üben, andererseits können alle Betroffenen eine gewisse Zeit aufatmen und haben Abwechslung.» Jemanden zu Hause zu pflegen sei eine 24-Stunden-Aufgabe und wenn man nicht genug entlastet werde, bestehe die Gefahr, selbst krank zu werden. Luzia Hafner betont, dass es viel zu wenige solche Entlastungsangebote gebe. Dass ihr Projekt seit zwei Jahren von der Krankenkasse anerkannt wird, freut sie deshalb umso mehr. Wenn die Gäste Hilfe bei der Körperpflege brauchen, werden diese Leistungen von der Krankenkasse übernommen. Ein Tagesaufenthalt kostet die Angehörigen dann knapp 90 Franken, mit Übernachtung 150 Franken.
Die Ferienplätze auf dem Hof Obergrüt sind ausgebucht, deshalb baut die Familie Hafner den Spycher auf dem Bauernhof aus. Somit können in Zukunft noch mehr Angehörige einen Tag oder mehr aufatmen. Auch wenn sich die Gäste nachher nicht mehr an ihren Aufenthalt auf dem Bauernhof erinnern können.
Schweiz Aktuell, 12.1.15