Eigentlich wollte er Opernsänger werden. Dann aber hat er Medizin studiert: Martin Meuli, Direktor der Chirurgie am Kinderspital Zürich. Kurz vor seiner Pensionierung steht der Pionier der Kinderchirurgie vor einer Wand in seinem Büro. Er zeigt auf eine Collage mit Fotos – alles strahlende Kindergesichter.
Operationsdatum vor dem Geburtsdatum
Unter den Baby-Fotos sind ein Name und jeweils zwei Daten notiert: das Datum der Operation und das Datum der Geburt. Die Operation fand bei allen diesen Babys noch im Mutterleib statt, vor der Geburt. Diese Methode hat Martin Meuli in Kalifornien erforscht und mitentwickelt. Vor zehn Jahren hat er sie als erster in der Schweiz angewandt. Seither hat der mächtige Mann mit dem fröhlichen Gesicht fast 140 Föten mit spina bifida, einem offenen Rücken, im Mutterleib operiert.
Es ist schon etwas Verrücktes, wenn man sozusagen zwei Patienten gleichzeitig vor sich hat: Die Mutter und das ungeborene Kind.
Das Faszinierende bei diesen Eingriffen sei nicht, dass sie einmalig seien. Das Faszinierende sei, wenn man den Uterus öffne und dann das Ungeborene im Fruchtwasser sehe, seine kleinen Füsschen, das sei alles so zart und fein, dass es ihn immer wieder habe erschaudern lassen. Denn als Chirurg mache er ja einen Griff in die Schöpfungskammer.
Genau besprechen, weil es so heikel ist
Weil die Operation so heikel ist, muss Chirurg Meuli mit den Eltern alles genauestens besprechen. Manchmal gehe es um Leben und Tod, also darum, ob die Operation eine Chance habe oder ob man das Kind besser abtreiben solle. Für diesen Entscheid gebe es keine medizinische Routine, und ein solcher Entscheid sei jedesmal wieder schwierig. Zwei Kinder haben den Eingriff nicht überlebt, und diese Momente gehen Meuli noch immer sehr nahe. Er frage sich heute noch, ob er oder sein Team Fehler gemacht hätten.
Es ist extrem schlimm, wenn ein Baby stirbt. Es ist einfach ein heikler Eingriff.
Ein solcher Eingriff sei nicht vergleichbar mit einer Operation an einer Hand. Wenn diese nicht gelinge, sei die Hand vielleicht geschädigt, aber niemand gestorben. Faszinierend an diesem Beruf sei es, Grenzen auszuloten. Und es habe ihm gefallen, mit Kindern zu arbeiten, denn er habe Kinder einfach gerne. Die Stelle am Kinderspital sei die Stelle seines Lebens gewesen.
Beine hochlagern und Leben geniessen
Ende Juli geht Meuli in Pension und will wieder öfter singen. Und er möchte Zeit haben für all das, was in den letzten vierzig Jahren zu kurz kam: Mit Freunden plaudern, Siesta machen, die Beine hochlagern, das Leben geniessen. Und das natürlich auch in den Bündner Bergen, dort also, wo Meuli herkommt.