Es war die ideale Kombination von Wasser und Gefälle, die im 19. Jahrhundert viele Textilunternehmer ins Zürcher Oberland brachte. Das Spinnen und Weben wurden hier schon seit dem 17. Jahrhundert in Heimarbeit gepflegt.
Mit der Mechanisierung schossen entlang den Läufen der Töss, der Jona, des Aabachs und vieler anderer Gewässer im bergigen Oberland grosse Spinnereien und Webereien wie Pilze aus dem Boden. «Die Unternehmer kauften Wasserrechte, errichteten Fabriken und bauten vielerorts noch zusätzliches Gefälle ein», sagt Claudia Fischer, Lokalhistorikerin in Wetzikon.
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Bild 1 von 9. Das Fabrik-Ensemble im Neuthal gehörte der berühmten Industriellenfamilie Guyer-Zeller. Bildquelle: SRF.
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Bild 2 von 9. Hanspeter Hulliger präsidiert den Verein VEI, der die Museums-Spinnerei Neuthal betreibt. Bildquelle: SRF.
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Bild 3 von 9. Mit einer 200 Meter langen Seiltransmission trieb man im Neuthal die Spinnmaschinen an. Bildquelle: SRF.
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Bild 4 von 9. Claudia Fischer hat sich mit der Geschichte der Zürcher Oberländer Textilindustrie befasst. Bildquelle: SRF.
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Bild 5 von 9. In der ehemaligen Spinnerei Aathal sind heute zahlreiche Kleinunternehmen zuhause. Bildquelle: SRF.
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Bild 6 von 9. Daniel Haldimann verwaltet unter anderem die ehemaligen Kosthäuser der Spinnerei Aathal. Bildquelle: SRF.
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Bild 7 von 9. Die «Bleiche» war die grösste Textilfabrik von Wald; der Bauernbetrieb gehörte dazu. Bildquelle: SRF.
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Bild 8 von 9. Andreas Honegger hat die Weberei seiner Vorfahren, die «Bleiche» in Wald, neu belebt. Bildquelle: SRF.
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Bild 9 von 9. In den Fabrikgebäuden der «Bleiche» kann man heute stilvoll essen und übernachten. Bildquelle: SRF.
Das Zürcher Oberland wurde zur ersten und wichtigsten mechanisierten Textilindustrieregion Europas. Bauern aus der Region sowie Arbeiterinnen und Arbeiter aus der ganzen Schweiz fanden in den neuen Spinnereien und Webereien ein Auskommen. Viele von ihnen wohnten in den Kosthäusern, welche die Textilbarone neben ihre Fabrikanlagen stellten.
Heute bieten viele dieser Kosthäuser weiterhin günstigen Wohnraum an. «Praktisch alle Asylsuchenden der Gemeinde Seegräben wohnen in diesen Häusern, Tür an Tür mit den anderen Mietern. Das funktioniert sehr gut», sagt Daniel Haldimann, Immobilienbewirtschafter der ehemaligen Spinnerei Aathal.
Wie weiter nach dem Aus?
In den 1970er Jahren begann der Niedergang der Zürcher Oberländer Textilindustrie. Preisgünstige Stoffe aus Indien und anderen asiatischen Ländern drangen auf den Markt, die Konkurrenz war zu gross. Immer mehr Fabriken standen leer und wurden unter Denkmalschutz gestellt. Findige Immobilienunternehmer machten sich an die Umnutzung.
Heute sind die meisten dieser historischen Fabrikbauten mit neuem Leben gefüllt. Im Guyer-Zeller'schen Industrie-Ensemble Neuthal entstand ein Spinnerei- und Weberei-Museum. «Das war unsere Idee einer Umnutzung: Wir wollten die alten Maschinen wieder aufstellen und sie der Öffentlichkeit zeigen», erklärt Hanspeter Hulliger. Er leitet den Verein zur Erhaltung alter Handwerks- und Industrieanlagen im Zürcher Oberland, der das Museum und die historischen Wasserkraftanlagen pflegt und betreibt.
Hotel, Restaurant, Fitness, Lofts
Prominentes Beispiel einer diversifizierten Neunutzung ist die einstige Grossweberei «Bleiche» in Wald. Sie schloss 1988 ihre Tore. In den ehemaligen Industriegebäuden auf dem grossen Fabrikareal sind heute ein Hotel, ein Restaurant, ein Bad, ein Fitnesscenter sowie zahlreiche Gewerbetreibende und Künstler zuhause; die «Bleiche» bietet auch luxuriöse Fabriklofts an.
Initiator des Umbaus ist Andreas Honegger, einer der Erben des Familienunternehmens. «Von der gesamten Textilindustrie waren nur die leeren Hüllen übriggeblieben. Das war trostlos», sagt Honegger. «Deshalb betrachtete ich es als meine Pflicht, dafür zu sorgen, dass alles wiederbelebt wird und weitergeht.»
(SRF 1, Regionaljournal Zürich Schaffhausen, 12:03 Uhr/17:30 Uhr)